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Vorgehen bei substanzierter Darlegung von Härten gemäß § 574 Abs. 1 BGB

BGH,Beschl.v.26.5.2020–VIII ZR 64/19

I. Der Fall

Die Parteien streiten um die Räumung von Wohnraum. Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs seines Sohnes, der nach abgeschlossener Berufsausbildung einen eigenen Hausstand begründen wolle. Hiergegen brachten die Mieter, ein älteres Ehepaar, gesundheitliche Härtegründe vor, die sie mit verschiedenen fachärztlichen Attesten belegten. Danach litt der Mann u.a. unter einer chronischen obstruktiven Lungenerkrankung, arterieller Hypotonie, Diabetes und Einschränkungen in seiner kognitiven Anpassungsmöglichkeit, die sich bei einer Veränderung der Wohnsituation verschlimmere. Das Amtsgericht sah von der zunächst vorgesehenen Beweisaufnahme über die Zumutbarkeit eines Umzugs ab und verurteilte die Mieter nach Vernehmung zweier Zeugen zum Gesundheitszustand des Mieters zur Räumung ohne Räumungsfrist. Das Berufungsgericht wies die Berufung hiergegen mit Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Hiergegen richtet sich die vom BGH zugelassene Revision.

II. Die Entscheidung

Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Mieter auf rechtliches Gehör verletzt. Das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dies kann beim Streit um gesundheitliche Härtegründe gemäß § 574 Abs. 1 BGB die Erhebung eines angebotenen Sachverständigenbeweises zu den Folgen eines Umzuges erfordern. Dies ist bei leichteren Erkrankungen in Verbindung mit weiteren Umständen (Alter, Verwurzelung durch lange Mietdauer); bei einem gesundheitlichen Zustand, der für sich genommen einen Umzug nicht zulässt oder bei der Gefahr einer erheblichen Verschlechterung eines schwer erkrankten Mieters der Fall. Dabei muss sich das Tatsachengericht regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues, nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind. Trägt der Mieter zur Unzumutbarkeit des Umzugs führende Umstände unter Vorlage eines aussagekräftigen Attestes vor, ist im Bestreitensfalle sogar gemäß § 144 ZPO ohne Beweisangebot von Amts wegen Beweis zu erheben.

Die Beweisaufnahme durch Zeugen über noch ausgeübte Tätigkeiten des Mieters genügt nicht, erst recht nicht die ohne Beweiserhebung getroffene Feststellung, dass die Mieterin als „muntere Person“ bekannt sei. Sofern in der Berufungsinstanz weiterer Vortrag zu gesundheitlichen Einschränkungen des Mieters erfolgt, ist dieser regelmäßig nicht neu gemäß § 531 Abs. 2 ZPO, sondern nur eine Konkretisierung der gesundheitsbedingten Unzumutbarkeit eines Umzugs. Da die diesbezüglichen Feststellungen noch nicht getroffen sind war die Sache zurückzuverweisen, wobei der BGH von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 S. 3 ZPO Gebrauch macht.

III. Der Praxistipp

Jenseits seiner Korrektur der erstaunlichen Entscheidungen in den Tatsacheninstanzen macht der BGH klar, welcher Vortrag zur Annahme einer gesundheitsbedingten Härte nach § 574 Abs. 1 BGB erforderlich ist: Es muss entweder eine leichtere Erkrankungen in Verbindung mit weiteren Umständen vorgetragen werden (beides für sich alleine genügt nicht); eine ernstere Erkrankung, die sich durch den Umzug verschlechtert oder aber ein gesundheitlicher Zustand, der für sich genommen einen Umzug nicht zulässt.

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