BGH,Urt.v.1.7.2020–VIII ZR 323/18
I. Der Fall
Die Parteien streiten um die Räumung von Wohnraum. Die nach dem Tode ihres Ehemannes 2004 in das Mietverhältnis eingetretene Mieterin schuldete zuletzt eine Miete samt Betriebskostenvorauszahlung von 563,92 EUR. Nach Auflaufen eines Rückstandes von 1.629,16 EUR kündigten die Vermieter das Mietverhältnis mit Schriftsatz vom 24.2.2016 außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Die Ende Juli 2017 auf 2.757 EUR angestiegenen Rückstände wurden innerhalb der Schonfrist vom Jobcenter ausgeglichen. Die Beklagte behauptet, angesichts der langen Wohndauer, ihrer damit einhergehenden Verwurzelung, des fehlenden Ersatzwohnraums und der Entwicklungsauffälligkeiten ihrer Kinder stelle die Beendigung des Mietverhältnisses für sie eine unzumutbare Härte dar. Die vor dem AG überwiegend erfolgreiche Räumungsklage wies das Berufungsgericht ab. Hiergegen richtet sich die vom LG zugelassene Revision des Klägers.
II. Die Entscheidung
Das Rechtsmittel hatte Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung lässt sich ein Anspruch auf Rückgabe der Mietsache nicht verneinen.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass von Februar 2016 und Juli 2017 ein Zahlungsrückstand von deutlich mehr als zwei Monatsmieten bestand. Die Zahlung innerhalb der Schonfrist führt nur dazu, dass die fristlose Kündigung unwirksam wird. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes ist hiergegen die Berufung auf Härtegründe gemäß § 574 Abs. 1 S. 2 BGB ausgeschlossen. Dies ist stets der Fall, wenn ein Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegt. Dabei ist nicht erforderlich, dass der Vermieter die außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat. Vielmehr genügt es, wenn ihm bei Zugang der ordentlichen Kündigung auch ein Recht zur fristlosen Kündigung zusteht. Dies war hier der Fall.
Die spätere Zahlung innerhalb der Schonfrist ändert hieran nichts, da diese lediglich die Gestaltungswirkung der fristlosen Kündigung beseitigt, nicht aber dazu führt, dass kein Grund zur fristlosen Kündigung bestand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes setzt § 574 Abs. 1 S. 2 BGB nicht zwingend voraus, dass der Grund für die fristlose Kündigung noch zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung der für die Härtefallabwägung zuständigen Tatsacheninstanz besteht. Schon bei Vorliegen zur Zeit der ordentlichen Kündigung liegt eine schwere Vertragsstörung vor, die eine Anwendung der Härtefallregelung ausschließt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes kommt es durch die Schonfristzahlung auch nicht zur einem Neuentstehen oder Wiederaufleben des Widerspruchsrechtes nach § 574 Abs. 1 S. 1 BGB. Eine diesbezügliche Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Daran fehlt es hier. § 574 Abs. 1 S. 2 BGB schließt vielmehr den Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses aus, wenn es seitens des Mieters gravierende Vertragsstörungen kommt.
III. Praxistipp
Es zeigt sich, wie wichtig es für den Vermieter ist, bei Zahlungsverzug neben der fristlosen die ordentliche Kündigung auszusprechen. In ihrer Kombination überwindet die ordentliche Kündigung die Schonfristzahlung und wird ihrerseits durch die Gründe für eine fristlose Kündigung „immun“ gegen den Härteeinwand. Im prozessualen Teil der Entscheidung beschäftigt sich der BGH noch mit der Möglichkeit eines Teilurteils. Ein solches ist auch bei einfachen Streitgenossen unzulässig, wenn die Gefahr widersprechender Urteile besteht.