1. Es gibt keine verbindliche Höchstdauer eines Studiums, bei deren Überschreitung der Ausbildungsunterhalt zwingend entfällt. Welche Zeit im konkreten Fall für das Studium als angemessen und üblich anzusehen ist, ist vielmehr unter Berücksichtigung aller individuellen Umstände zu beurteilen. Die Regelstudienzeit, die Förderungshöchstdauer nach § 15a BAföG oder die durchschnittliche Studiendauer können dabei zwar als ungefähre Anhaltspunkte für die übliche Studiendauer, jedoch nicht zur Begründung einer starren zeitlichen Grenze des Unterhaltsanspruchs herangezogen werden.
2. Das den Ausbildungsunterhaltsanspruch prägende Gegenseitigkeitsprinzip schließt es nicht aus, dass im Einzelfall 16 Semestern noch als angemessene Dauer für ein Jurastudium angesehen werden können, wenn zwei Auslandssemester absolviert worden sind, das Studium ohne erkennbare „Bummelei“ betrieben und im Alter von 25 Jahren abgeschlossen wird und der unterhaltspflichtige Elternteil in guten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt.
3. Bei der Ermittlung des Haftungsanteils der Eltern für den Unterhalt des volljährigen studierenden Kindes ist ein dem Ausbildungsunterhaltsanspruch des Kindes im Rang vorgehender Familienunterhaltsanspruch des Ehegatten eines Elternteils dann nicht vorab von dem Einkommen dieses Elternteils in Abzug zu bringen, wenn sich zwischen den Bedarfen des Kindes und des Ehegatten kein Missverhältnis ergibt.
I. Der Fall
Der 1999 geborene Antragsteller ist der aus der geschiedenen Ehe seiner Eltern stammende Sohn des Antragsgegners, den er auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt für die Zeit ab 10/2022 in Anspruch nimmt.
Der Antragsteller nahm unmittelbar nach dem Abitur im Alter von 17 Jahren im Wintersemester 2016/17 das Studium der Rechtswissenschaft an der Universität auf. Im Wintersemester 2018/19 und im Sommersemester 2019 studierte er im Rahmen eines Erasmus-Programms in England. In dieser Zeit war er von der Universität beurlaubt. Dort setzte er sein Studium ab dem Wintersemester 2019/20 fort. In 10/2022 schrieb er im sog. Freiversuch erste Examensklausuren. Am 15.6.2023 bestand er die der Schwerpunktbereichsprüfung im Internationalen und Europäischen öffentlichen Recht vorangehende Pflichtfachprüfung im Rahmen der Ersten Prüfung mit der Note befriedigend (7,10 Punkte). Im Wintersemester 2023/24 nahm er eine Tätigkeit als Korrekturassistent auf und einen Lehrauftrag im Umfang von zwei Semesterwochenstunden an. Anfang 2024 unternahm er einen erfolgreichen Verbesserungsversuch im Pflichtfachbereich und schloss in 10/2024 sein Studium mit einer Gesamtnote von 10,22 Punkten ab. Seine Wohnkosten betragen 501 EUR monatlich.
Der Antragsgegner bezieht Einkünfte aus einer Tätigkeit als Universitätsprofessor und aus einer Nebentätigkeit als Geschäftsführer sowie Mieteinnahmen. Er lebt mit seiner – kein eigenes Einkommen erzielenden – Ehefrau, dem 2019 aus dieser Ehe hervorgegangenen Kind und zwei weiteren minderjährigen Kindern seiner Gattin in einer in seinem Eigentum stehenden Immobilie mit einer Wohnfläche von 198,6 m², für deren Finanzierung er monatlich 3.250,77 EUR aufwendet.
Das monatliche Nettoeinkommen der ebenfalls wiederverheirateten Mutter des Antragstellers beläuft sich bereinigt auf 3.575 EUR.
Der Antragsgegner zahlte dem Antragsteller bis einschließlich 09/2022 Ausbildungsunterhalt, zuletzt in Höhe von monatlich 320,50 EUR. 10/2022 stellte er die Unterhaltszahlungen ein. Dies begründete er damit, dass die geplante Finanzierungsdauer von zwölf Semestern erreicht sei. Eine Kündigung der über ihn abgeschlossenen privaten Krankenversicherung des Antragstellers nahm der Antragsgegner im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens zurück und zahlte die Hälfte der für den Antragsteller anfallenden Beiträge i.H.v. 30,18 EUR, mithin 15,09 EUR weiter. Mit Schreiben vom 18.10.2022 forderte der Antragsteller den Antragsgegner erfolglos auf, Auskunft über sein Einkommen zu erteilen.
Der Antragsteller hat geltend gemacht, sein Studium dauere im Hinblick auf die beiden Auslandssemester und Beeinträchtigungen der Examensvorbereitung durch die Corona-Pandemie nicht zu lange.
II. Die Entscheidung
Das OLG Bremen hält die Beschwerde für statthaft und im Übrigen zulässig, aber für unbegründet. Im Einzelnen für es folgendes aus:
Unterhalt für eine Berufsausbildung
1. Der Antragsgegner ist dem Antragsteller gem. § 1601 BGB dem Grunde nach zum Unterhalt verpflichtet. Der Unterhalt umfasst gem. § 1610 Abs. 2 BGB den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf. Eltern schulden daher ihrem Kind Unterhalt für eine Berufsausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich dabei in den Grenzen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit hält. Die Unterhaltspflicht besteht grundsätzlich bis zum Regelabschluss des Studiums, den für Juristen das Staatsexamen darstellt. Der Anspruch des Antragstellers gegen den Antragsgegner auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt (§§ 1601, 1610 Abs. 2 BGB) ist nicht vor der in 10/2024 von dem Antragsteller erfolgreich abgelegten Examensprüfung durch Erfüllung erloschen oder aus anderen Gründen in Wegfall geraten.
Gegenseitigkeitsprinzip
Der Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder ist – wie jeder Unterhaltsanspruch – vom Gegenseitigkeitsprinzip geprägt. Daher ist das Kind insbesondere verpflichtet, eine begonnene Ausbildung mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit voranzutreiben und in angemessener und üblicher Zeit zu beenden. Verzögerungen, die nur auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes zurückzuführen sind, müssen vom Unterhaltspflichtigen hingenommen werden. Erst wenn ein Kind die Obliegenheit, die Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, nachhaltig verletzt, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muss sich darauf verweisen lassen, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu. Eine feste Altersgrenze, ab deren Erreichen der Anspruch auf Ausbildungsunterhalt entfällt, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Maßgebend sind stets die Umstände des Einzelfalles und ob den Eltern unter Berücksichtigung aller Umstände die Leistung von Ausbildungsunterhalt noch zumutbar ist.
Überschreitung der Höchstdauer eines Studiums
Gemessen an diesen Grundsätzen ist ein Verstoß des Antragstellers gegen seine Obliegenheit, das Jurastudium zügig und jedenfalls im Grundsatz entsprechend den maßgeblichen Studienplänen durchzuführen, nicht feststellbar. Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsteller seine Ausbildung erst nach gut 16 Semestern abgeschlossen hat. Anders als der Antragsgegner anzunehmen scheint, gibt es insbesondere keine verbindliche Höchstdauer eines Studiums, bei deren Überschreitung der Ausbildungsunterhalt zwingend entfällt. Welche Zeit im konkreten Fall für das Studium als angemessen und üblich anzusehen ist, ist vielmehr unter Berücksichtigung aller individuellen Umstände zu beurteilen. Die Regelstudienzeit, die Förderungshöchstdauer nach § 15a BAföG oder die durchschnittliche Studiendauer können dabei zwar als ungefähre Anhaltspunkte für eine übliche Studiendauer, jedoch nicht zur Begründung einer starren zeitlichen Grenze des Unterhaltsanspruchs herangezogen werden.
Freiraum für die selbstständige Studiengestaltung
Anerkannt ist, dass der Unterhaltspflichtige zwar ein „Bummelstudium“ nicht finanzieren, aber durchaus nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) Verzögerungen hinzunehmen hat, die beispielsweise auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Studenten zurückzuführen sind. Dem Studenten muss auch ein gewisser Freiraum für die selbstständige Studiengestaltung verbleiben, wobei im Rahmen einer sinnvollen Gestaltung auch eine Verlängerung der Gesamtdauer des Studiums in Kauf zu nehmen sein kann. Der Ausschluss des Ausbildungsunterhalts wegen Verstößen gegen die Ausbildungsobliegenheit wird daher in der gerichtlichen Praxis die Ausnahme darstellen. Er setzt eine nachhaltige Verletzung der Obliegenheit des Studenten voraus, dem Studium pflichtbewusst und zielstrebig nachzugehen.
Eine solche nachhaltige Obliegenheitsverletzung ist hier nicht erkennbar, unabhängig davon ist hier unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles von einer noch angemessenen Studiendauer auszugehen.
Regelstudienzeit
Die Regelstudienzeit beträgt 10 Semester und mag, wie der Antragsgegner geltend macht, 2016 noch 9 Semester betragen haben. Allerdings betrug im Jahr 2022 die – als Korrektiv zu beachtende durchschnittlich benötigte Semesterzahl bis zum erfolgreichen Abschluss der Ersten Juristischen Prüfung in Niedersachsen 12,6 Semester (Quelle: Bundesamt für Justiz, Referat III 3, Juristenausbildung 2022). Hinzu kommen die beiden Auslandssemester des Antragstellers im Rahmen des Erasmus-Programms. Dass dieser Ausbildungsabschnitt für ein Jurastudium im Hinblick auf die damit verbundene Erweiterung der Berufsperspektiven sinnvoll und angesichts der Einkommensverhältnisse der Eltern hier vertretbar und daher von diesen zu finanzieren gewesen ist, steht für den Senat außer Zweifel. Dass der Antragsteller ordnungsgemäß und erfolgreich studiert hat, ist sowohl durch die Bescheinigung der Universität vom 5.12.2019 als auch durch das Certificate of Competence (ERASMUS) aus 2019 hinreichend belegt. Damit kann im vorliegenden Fall bereits eine Studiendauer von jedenfalls gut 14 Semestern als üblich bezeichnet werden.
Überschreitung der durchschnittlichen Studiendauer um ein bis zwei Semester
Deren Überschreitung um weitere zwei Semester ist hier nicht geeignet, einen Wegfall des Unterhaltsanspruchs des Antragstellers zu begründen. Denn auch eine Überschreitung der durchschnittlichen Studiendauer um ein bis zwei Semester ist grundsätzlich noch zu tolerieren. Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich aus der von dem Antragsteller vorgelegten Übersicht über die von ihm absolvierten Leistungen vom 7.9.2023 ergibt, dass er das Studium durchaus ernsthaft betrieben hat. Kleinere und vorübergehende Schwächen sind dabei unschädlich und stehen dem vorgenannten Gesamteindruck nicht entgegen. Dieser Eindruck wird vielmehr zusätzlich gestützt durch die vom Antragsteller im Wintersemester 2023/24 begonnene aktive Beteiligung am Lehrbetrieb (Korrekturassistenz, Lehrauftrag im Umfang von 2 SWS), die zum einen eine durch den bisherigen Studienverlauf erworbene Eignung des Antragstellers dokumentiert und zum andern aufgrund des damit einhergehenden eigenen Erkenntnisgewinns in jedem Fall geeignet war, einen erfolgreichen und alsbaldigen Studienabschluss eher zu begünstigen als zu hindern. Darüber hinaus fällt hier ganz erheblich ins Gewicht, dass der Antragsteller sein Studium bereits im Alter von 17 Jahren begonnen hat und jetzt erst 25 Jahre alt ist. Von einer überdurchschnittlich oder gar über Gebühr langen Inanspruchnahme des im Übrigen in guten wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Antragsgegners auf Ausbildungsunterhalt kann daher keine Rede sein. Daher ist in der Gesamtschau auch die Vornahme eines Verbesserungsversuchs durch den Antragsteller hinsichtlich seiner im Wege des sog. Freiversuchs abgelegten Leistungen für den unterhaltsverpflichteten Antragsgegner nicht unzumutbar. Um es pointiert zu formulieren: Der Antragsteller hat durch sein in 10/2024 im Alter von 25 Jahren mit erfreulichem Ergebnis abgeschlossenes Jurastudium dem Antragsgegner nicht unangemessen lange „auf der Tasche“ gelegen. Angesichts seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit stellt die mit der bis einschließlich 10/2024 andauernden Ausbildungsunterhaltsverpflichtung verbundene Einschränkung seiner Lebensverhältnisse für den Antragsgegner – nicht zuletzt in Relation zur Höhe der Immobilienfinanzierung – keine unzumutbare finanzielle Belastung geschweige denn Überforderung dar. In der Gesamtschau ist es nach alledem nicht angezeigt, dem Antragsteller den Unterhaltsanspruch vor der in 10/2024 bestandenen Examensprüfung zu versagen.
Würdigung aller Einzelfallumstände
Der Antragsgegner übersieht, dass es stets um die Würdigung aller Einzelfallumstände durch das erkennende Gericht geht, die von Fall zu Fall durchaus unterschiedlich ausfallen kann. So wird etwa mitunter einerseits – eher streng – ein Erlöschen des Unterhaltsanspruchs spätestens nach einer Überschreitung der Regelstudienzeit um zwei Semester für gerechtfertigt gehalten oder andererseits – eher großzügig – von einer erheblichen Überschreitung der üblichen Studiendauer regelmäßig erst bei mehr als 15 Semestern ausgegangen, auch wenn Verzögerungen in der Examensphase oder ein Auslandsaufenthalt berücksichtigt werden. Der Senat hält angesichts der massiven Folgen für die Lebenssituation des sich in der Ausbildung befindenden Kindes, die mit einem Wegfall des Ausbildungsunterhalts gerade in der Endphase des Studiums verbunden sind, eine eher großzügige Betrachtungsweise für geboten, um den Ausbildungsabschluss nicht zu gefährden. Wenn – wie im vorliegenden Fall – der Student im Grunde sichtlich zielstrebig und ohne erkennbare „Bummelei“ auf sein Examen hinarbeitet, erscheint es dem Senat jedenfalls dann angemessen, ihm den Unterhaltsanspruch auch mit Ablauf des 15. Semesters noch nicht zu versagen, wenn – wie hier – der Abschluss des Studiums voraussichtlich nur noch etwa ein weiteres Semester in Anspruch nehmen wird und dies nicht zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Unterhaltspflichtigen führt. Das hier gefundene Ergebnis widerspricht im Übrigen auch nicht der vom Antragsgegner zitierten Entscheidung des OLG Köln, nach der es für ein nicht mit der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener Zeit durchgeführtes Studium sprechen soll, wenn dieses bei einer Regelstudienzeit von sieben Semestern nach vier weiteren Semestern noch nicht abgeschlossen ist.
Gegenseitigkeitsprinzip
Soweit der Antragsgegner geltend macht, er sei vom Antragsteller teilweise unzureichend über den Verlauf des Studiums informiert worden, vermag das seinem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen. Zwar folgt aus dem Gegenseitigkeitsprinzip die Obliegenheit des Kindes, die Eltern über den Stand der Ausbildung zu informieren. Bei Verletzung dieser Obliegenheit können die Eltern den Unterhalt bis zur Erteilung der Auskunft durch das Kind zurückbehalten. Sie müssen den einbehaltenen Unterhalt aber nach Auskunftserteilung unverzüglich nachzahlen. Nachdem der Antragsteller nunmehr das Studium erfolgreich abgeschlossen hat und im vorliegenden Verfahren der Ausbildungsverlauf dargestellt worden ist, kommt ein Zurückbehaltungsrecht des Antragsgegners nach § 273 Abs. 1 BGB offenkundig nicht (mehr) in Betracht.
Verfehlung des Antragstellers gegen den Antragsgegner i.S.d. § 1611 Abs. 1 BGB
Der vom Antragsgegner erhobene Verwirkungseinwand greift, wie das Familiengericht zutreffend dargelegt hat, nicht durch. Eine hier insoweit allein in Betracht kommende vorsätzliche schwere Verfehlung des Antragstellers gegen den Antragsgegner i.S.d. § 1611 Abs. 1 BGB ist nicht erkennbar.
Diese Bestimmung ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen und wegen ihrer gravierenden Rechtsfolgen auf besonders schwere Fälle zu beschränken. Eine vorsätzliche schwere Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen kann regelmäßig nur bei einer tiefgreifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange des Unterhaltspflichtigen angenommen werden, also wenn ein besonders grober Mangel an verwandtschaftlicher Gesinnung und menschlicher Rücksichtnahme erkennbar wird. Die Beurteilung, ob das in Rede stehende Verhalten diese Kriterien erfüllt, erfolgt dabei stets auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalles, wobei immer auch das eigene Verhalten des Unterhaltspflichtigen angemessen zu berücksichtigen ist.
Schließlich erfüllt auch die Nichtanzeige der Aufnahme der von dem Antragsteller seit dem Wintersemester 2023/24 in geringfügigem Umfang an der Universität ausgeübten Tätigkeit nicht die Voraussetzungen des § 1611 Abs. 1 BGB. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit neben dem Studium ist grundsätzlich unzumutbar und eine Anrechnung daraus erzielter Einkünfte auf den Bedarf kommt lediglich unter Billigkeitsaspekten in Betracht. Einnahmen in einer Größenordnung von 30 EUR monatlich können aber bei den hier gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern des Antragstellers aus Gründen der Billigkeit keine Auswirkung auf dessen Bedarf haben. Daher kann in der Nichtanzeige der Einkünfte keine Beeinträchtigung wirtschaftlicher Interessen des Antragsgegners erkannt werden.
Höhe des Unterhalts
2. Der Antragsgegner ist auch der Höhe nach verpflichtet, dem Antragsteller den vom Familiengericht zugesprochenen Unterhalt zu zahlen. Die vom Familiengericht ermittelten Unterhaltsbeträge bedürfen jedenfalls im Ergebnis keiner Korrektur zugunsten des Antragsgegners.
[Ermittlung des unterhaltsrechtlich relevanten Nettoeinkommens des Antragsgegners]
Bei der Ermittlung des Haftungsanteils des Antragsgegners für den Unterhalt des Antragstellers hat das Familiengericht zu Unrecht eine weitere Bereinigung des Einkommens des Antragsgegners um einen mit monatlich 3.533,50 EUR für 2022, 3.503,25 EUR für 2023 und 3.483,25 EUR für 2024 errechneten Familienunterhaltsanspruch der Ehefrau vorgenommen.
Bestimmung der ehelichen Lebensverhältnisse durch anderweitige Unterhaltspflichten
Zwar ist es zutreffend, dass der Antragsgegner seiner über kein eigenes Einkommen verfügenden Ehefrau Familienunterhalt schuldet (§§ 1360, 1360a BGB). Für die Berechnung der anteiligen Haftung von Eltern für den Unterhalt eines volljährigen Kindes in Fällen, in denen – wie hier – ein Elternteil einem Ehegatten Familienunterhalt schuldet, gilt nach der Rechtsprechung des BGH Folgendes: Der Anspruch auf Familienunterhalt ist nach den ehelichen Lebensverhältnissen zu bestimmen. Diese können allerdings ihrerseits durch anderweitige, auch nachrangige Unterhaltspflichten eingeschränkt sein. Von einer solchen Bestimmung der ehelichen Lebensverhältnisse durch anderweitige Unterhaltspflichten ist auch im Verhältnis zwischen Eltern und volljährigen Kindern auszugehen, die nach § 1609 Nr. 4 BGB dem unter § 1609 Nr. 2 oder Nr. 3 BGB fallenden Ehegatten des Elternteils im Rang nachgehen. Nach diesem methodischen Ansatz ist bei der Bemessung des Unterhalts der Ehefrau grundsätzlich der auf den Antragsgegner entfallende Anteil des Unterhalts für den volljährigen Antragsteller vorweg vom Einkommen des Antragsgegners abzuziehen. Bei der hier vorzunehmenden Anteilsberechnung nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB besteht allerdings die Besonderheit, dass ein bestimmter Kindesunterhalt des Antragstellers, der vorweg abgezogen werden könnte, noch nicht feststeht. Er soll ja durch die Anteilsberechnung erst ermittelt werden. Weder der Abzug des vollen noch des hälftigen oder eines anderen Anteils des Bedarfs könnte für sich in Anspruch nehmen, exakt das widerzuspiegeln, was die Ehefrau des Antragsgegners sich bei ausreichender finanzieller Leistungsfähigkeit des Antragsgegners als ihren Unterhaltsanspruch einschränkend vorgehen lassen müsste. Andererseits wäre es auch nicht angemessen, für die Ehefrau von vornherein nur einen Mindestbedarf anzusetzen. Denn ihr Anspruch kann auch darüber hinausgehen und würde dann zugunsten des anderen Elternteils geschmälert. Bei dieser Sachlage erscheint es gerechtfertigt, zur Bestimmung des Anspruchs auf Familienunterhalt einen – hier indes nicht vorliegenden – bereits titulierten und vom Unterhaltspflichtigen gezahlten Unterhalt heranzuziehen, zumal diese Mittel für den Lebensunterhalt des Pflichtigen und seiner Ehefrau tatsächlich nicht zur Verfügung standen, ihre Verhältnisse also durch einen entsprechenden Mittelabfluss geprägt waren. Als andere tatrichterlich ebenfalls in Betracht kommende Berechnungsmöglichkeit kommt, wenn – wie hier – von einem festen Bedarf auszugehen ist, nach Abzug des Kindergeldes, eine Berechnung mit dem hälftigen Anteil oder einem anderen Näherungswert in Betracht, der bei unterschiedlichen Einkommensverhältnissen der Eltern realistisch erscheint. Das dabei gewonnene Ergebnis ist sodann darauf zu überprüfen, ob sich ein Missverhältnis hinsichtlich des wechselseitigen Bedarfs ergibt. Das ist dann anzunehmen, wenn der der jeweiligen Lebenssituation entsprechende angemessene Eigenbedarf der Ehefrau – unter Berücksichtigung der durch das Zusammenleben der Ehegatten eintretenden häuslichen Ersparnis – durch die verbleibenden Mittel nicht gewährleistet werden kann. In diesem Fall haben dem unterhaltspflichtigen Elternteil vorweg diejenigen Mittel zu verbleiben, die er zur Deckung des angemessenen Bedarfs seines Ehegatten benötigt. Dann ist insoweit – vor der Anteilsberechnung nach § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB – der Fehlbetrag, d.h. der um die häusliche Ersparnis reduzierte angemessene Eigenbedarf abzüglich eines eventuellen eigenen Einkommens des Ehegatten, von dem Einkommen des unterhaltspflichtigen Elternteils in Abzug zu bringen.
Kein Missverhältnis hinsichtlich der wechselseitigen Bedarfe
Indem das Familiengericht hier unabhängig von den vorstehenden Erwägungen den Anspruch der Ehefrau auf Familienunterhalt vorweg vom Einkommen des Antragsgegners abgezogen hat, hat es nicht berücksichtigt, dass die Lebensverhältnisse des Antragsgegners und seiner Ehefrau durch die Unterhaltspflicht des Antragsgegners gegenüber dem Antragsteller mitbestimmt worden sind. Im vorliegenden Fall ergibt sich kein Missverhältnis hinsichtlich der wechselseitigen Bedarfe, sodass der Familienunterhaltsanspruch der Ehefrau des Antragsgegners nicht vor der Ermittlung der Haftungsanteile der Eltern des Antragstellers für dessen Unterhalt vom Einkommen des Antragsgegners in Abzug zu bringen ist. Denn der Ehefrau (EF) verbleibt auch unter Berücksichtigung einer Unterhaltsverpflichtung des Antragsgegners in Höhe des hälftigen Bedarfs des Antragstellers ein deutlich über ihrem notwendigen Bedarf von derzeit 1.400 EUR (vgl. Düsseldorfer Tabelle B. V. 2. b) liegender und ihrer Lebenssituation angemessener Familienunterhaltsanspruch.
Zur Ermittlung der Haftungsquote sind daher das oben dargestellte bereinigte Einkommen des Antragsgegners sowie das unstreitige bereinigte Einkommen der Mutter des Antragstellers von 3.575 EUR jeweils um die gültigen Selbstbehaltsbeträge zu reduzieren und sodann miteinander ins Verhältnis zu setzen:
[Berechnung der Haftungsanteile]
Keine Befristung des Unterhaltsanspruchs des Antragstellers
3. Dass das Familiengericht in der angefochtenen Entscheidung von einer Befristung des Unterhaltsanspruchs des Antragstellers abgesehen hat, ist nicht zu beanstanden. Eine Befristung ist gesetzlich nicht vorgesehen. Unabhängig davon ist Ausbildungsunterhalt eines studierenden Kindes regelmäßig nicht zu befristen, weil das Ende des Studiums nicht feststeht. Bei Erlass der angefochtenen Entscheidung war für das Familiengericht ein konkretes Ende des Studiums des Antragstellers noch nicht prognostizierbar. Für das Familiengericht bestand daher kein Anlass für eine Befristung.
Ob eine Befristung und ggf. welche hier gleichwohl ausnahmsweise durch den Senat auszusprechen gewesen wäre, nachdem die Angaben des Antragstellers im Verhandlungstermin vom 12.9.2024 den Abschluss seines Studiums noch im Laufe dieses Jahres ziemlich sicher erwarten ließen, bedarf vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller das Verfahren für die Zeit ab 11/2024 in der Hauptsache für erledigt erklärt hat, keiner Entscheidung. Eine Befristung wäre jedenfalls nicht zu einem früheren Zeitpunkt als Ende 10/2024 in Betracht gekommen, weil Ausbildungsunterhalt über die Zeit des Examens hinaus für einen Zeitraum von etwa drei Monaten zu gewähren ist, innerhalb dessen sich das Kind um eine Arbeitsstelle bewerben kann.
III. Der Praxistipp
Der 5. Senat des OLG Bremen beschäftigt sich in allen Einzelheiten mit der Obliegenheit des unterhaltsberechtigten Auszubildenden, insbesondere mit der Obliegenheit der zügigen Beendigung des Studiums und den einzelnen möglichen Verzögerungsgründen.
Auch das Thema Verwirkung kommt in der vorliegenden Entscheidung nicht zu kurz. Der Senat erörtert nahezu sämtliche denkbaren Verwirkungsgründe, die er allesamt – nach hiesiger Auffassung zutreffend – verneint.
Außerdem ist die vorliegende Entscheidung insbesondere interessant hinsichtlich des Rangverhältnisses des streitgegenständlichen Unterhaltsanspruchs des sich in Ausbildung befindlichen Kindes und der mit dem Unterhaltsschuldner verheirateten Frau. Dabei arbeitet das OLG anhand der Rechtsprechung des BGH heraus, dass der Anspruch auf Familienunterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen zu bestimmen ist, die jedoch ihrerseits durch anderweitige, auch nachrangige Unterhaltspflichten eingeschränkt sein können. Von einer solchen Bestimmung der ehelichen Lebensverhältnisse durch anderweitige Unterhaltspflichten ist auch im Verhältnis zwischen Eltern und volljährigen Kindern auszugehen, die nach § 1609 Nr. 4 BGB dem unter § 1609 Nr. 2 oder Nr. 3 BGB fallenden Ehegatten des Elternteils im Rang nachgehen.