Auch im Jahr 2024 beschäftigte die Versendung über das beA die Gerichte. Nachstehend informieren wir Sie über aktuelle Rechtsprechung zum beA:
BGH, Beschl. v. 7.5.2024 – VI ZB 22/23
Zu den nach § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO bestehenden Anforderungen an die Übermittlung eines elektronischen Dokuments.
Im Anschluss an die Rechtsprechung des BGH vom 28.2.2024 – IX ZB 30/23 (Auseinanderfallen einfacher Signatur (eeS) und qualifizierter elektronischer Signatur (qeS) ist zulässig bei Anwaltssozietät – Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung) – vgl. Cosack, Elektronischer Rechtsverkehr Ausgabe 3/2024, Rn 101 ff., hat sich der BGH erneut mit der Frage befasst, welche Anforderungen erfüllt werden müssen, um § 130a ZPO zu genügen:
„(3) Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden.“
In diesem Verfahren wurde am 24.11.22 vom beA des RA L. Berufung eingelegt und diese am 14.12.2022 wiederum vom beA des RA L. begründet. Beide Schriftsätze waren lediglich mit einer einfachen Signatur (maschinenschriftliche Namensangabe und grafische Wiedergabe der handschriftlichen Unterschrift) von RAin W. versehen. Diese war nach den Angaben im Briefkopf angestellte RAin in der Kanzlei des RA L. Das OLG hatte die Berufung nach vorangegangenem Hinweis als unzulässig verworfen, weil sie nicht form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden sei, da sie den Anforderungen des § 130a ZPO nicht entsprochen habe.
Der BGH führt aus, dass die maßgeblichen Rechtsfragen durch höchstrichterliche Rechtsprechung bereits geklärt sei, so dass die Rechtsbeschwerde nicht gem. § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zulässig sei. Auch sei eine Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) wegen Verletzung der Klägerin in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) oder in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht erforderlich.
Es gibt zwei Wege zur rechtswirksamen Übermittlung von elektronischen Dokumenten: Entweder kann der RA den Schriftsatz mit einer qeS versehen. Oder er kann auch nur einfach signieren, dann muss der Schriftsatz sodann selbst auf einem sicheren Übermittlungsweg, etwa über ein beA nach den §§ 31a und 31b BRAO (§ 130 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO) eingereicht werden. Im zuletzt genannten Fall hat die eeS die Funktion, zu dokumentieren, dass die durch den sicheren Übermittlungsweg (beA) als Absender ausgewiesene Person mit der die Verantwortung für das Dokument übernehmende Person identisch ist; ist diese Identität nicht feststellbar, ist das Dokument nicht wirksam eingereicht.
Ein aus einem persönlich zugeordneten beA (vgl. § 31a BRAO) versandtes elektronisches Dokument ist nur dann auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht, wenn die das Dokument signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt.
Das sei hier nicht der Fall: RAin W. habe das Dokument nur mit einer eeS versehen. Dies genüge den Anforderungen des § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 ZPO nicht, weil als Absender des Dokuments der Inhaber des beA – RA L. – und nicht die ausweislich der einfachen Signatur das Dokument verantwortende Person – RAin W. – ausgewiesen war. Nach der Regelungssystematik des § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO könne nicht davon ausgegangen werden, dass RA L. auch die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernehmen wollte. Denn RA L. hatte keine eigene qeS angebracht und damit gerade keine Verantwortung übernommen. Auf die Erfüllung der Anforderungen nach § 130a ZPO könne nicht deshalb verzichtet deshalb werden, weil sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschriftsleistung vergleichbare Gewähr für die Identifizierung des Urhebers der Verfahrenshandlung und dessen unbedingten Willen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Dokuments zu übernehmen und dieses bei Gericht einzureichen, ergeben würde.
Es genüge nicht, dass aus dem Prozessverlauf klar zu erkennen sei, dass RAin W. die Verantwortung für die Berufungsschrift übernehmen wollte, weil sie als alleinige Sachbearbeiterin in Erscheinung getreten sei. Angesichts der Übermittlung über das beA von RA L. stehe nicht zweifelsfrei fest, dass die Einreichung dieses Dokuments ihrem unbedingten Willen entspreche. Die diesbezügliche Erklärung von RAin W., die erneut über das beA von RA L. versandt wurde, sei auch schon deshalb unbeachtlich, weil sie nach Ablauf der Berufungsfrist erfolgte. Der Umstand, dass im Briefkopf der Berufungsschrift RA L. als Kanzleiinhaber und RAin W. als seine Angestellte ausgewiesen sei, ist keine der Unterschrift bzw. sie ersetzende qeS vergleichbare Gewähr dafür, dass RA L. die volle Verantwortung für den Inhalt des Dokuments übernehmen wollte.
■Anmerkung:
Immer wieder wird die Unterschrift im elektronischen Rechtsverkehr zum Verhängnis. Dabei lässt § 130a ZPO eigentlich keine Zweifel aufkommen: Entweder mit qeS oder eeS, dann aber muss die verantwortende Person das Dokument selbst über sein beA (sicherer Übermittlungsweg) senden.
Praxishinweis:
Betrachten Sie die qeS als Qualitätsmerkmal für das Absenden eines Schriftsatzes. Damit übernehmen Sie die Verantwortung für das Dokument. Dann ist es unerheblich, wer und aus welchem beA das Dokument versandt wird.
BGH, Versäumnisurteil v. 15.5.2024 – VIII ZR 52/23
Zur Frage der Wirksamkeit der Einlegung eines Rechtsmittels durch Einreichung einer mit einer einbettenden Signatur („enveloping signature“) versehenen Rechtsmittelschrift.
In diesem Verfahren ging es inhaltlich um die Abtretung von Forderungen aus der sog. Mietpreisbremse; die Berufung der Klägerin wurde vom LG zurückgewiesen. Die Revision hatte Erfolg. Inhaltlich beruht das Urteil nicht auf der Säumnis der Beklagten, sondern auf einer Sachprüfung.
Die Einreichung der Berufung und der Berufungsbegründung erfolgte rechtzeitig. Allerdings hatte die Klägerin die Berufung mit einer „enveloping“-Signatur übersandt, die gem. Nr. 5 der Zweiten Bekanntmachung zu § 3 der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung vom 10.2.2022 (2. ERVB 2022) unzulässig sei. Diese Signatur sei im Prüfprotokoll für signierte Anhänge, Spalte „Signaturformat“, als „Signatur mit Dokumenteninhalt“ gekennzeichnet. Es könne sich daher nicht um eine „inline- oder enveloped“-Signatur handeln. Allerdings führe dieser formale Fehler nicht zur Unwirksamkeit der Berufungseinlegung. Die Formvorschriften seien kein Selbstzweck, der den Zugang zu den Gerichten unzumutbar erschweren dürfe. Die „enveloping“-Signatur sei deshalb nicht zugelassen, weil das eingebettete Dokument nicht in den üblicherweise zur Verfügung stehenden Programmen gelesen werden könne. Vorliegend habe die Signatur-Datei aber mit einem herkömmlichen Reader geöffnet werden können. Deshalb sei es unverhältnismäßig, den möglichen Bedienfehler bei der Signatur mit der Berufungsverwerfung zu sanktionieren.
Es wird auf die Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach vom 24.11.2017 (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) hingewiesen. So darf ein mit qeS versehener Schriftsatz auch an das EVGP übermittelt werden. In der 2. ERVB 2022 werden die technischen Standards für die Übermittlung und die Eignung zur Bearbeitung festgelegt. Danach sind nach dem Standard CMS Advanced Electronic Signatures (CAdES) als angefügte Signatur („detached signature“) oder nach dem Standard PDF Advanced Electronic Signatures (PAdES) als eingebettete Signatur („inline signature“) anzubringen. Die Verwendung einer einbettenden Signatur („enveloping signature“) sieht Nr. 5 der 2. ERVB 2022 hingegen nicht vor. Ist das elektronische Dokument aufgrund der Verwendung einer einbettenden Signatur zur Bearbeitung für das Gericht im konkreten Fall nicht geeignet, ist das Gericht vielmehr verpflichtet, dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs umgehend mitzuteilen und ihm so die Möglichkeit, zur unverzüglichen Nachreichung in einer zur Bearbeitung geeigneten Form zu geben. Es komme entscheidend darauf an, ob dem Gericht eine Bearbeitung dieses Dokuments tatsächlich möglich ist. Die Einschränkung auf bestimmte Signaturformate sollte Verarbeitungsschwierigkeiten bei der Verwendung einer das Dokument einbettenden Signatur durch das Gericht entgegenwirken. Rein formale Verstöße gegen die ERVV sollen deshalb nicht zur Formunwirksamkeit des Eingangs führen, wenn das Gericht das elektronische Dokument gleichwohl bearbeiten kann. Dies entspräche auch dem Sinn und Zweck, der mit dem Aufbringen einer qeS verbunden sei. Bei der Übermittlung eines elektronischen Dokuments an das EGVP bestehe jedoch keine Gewähr für dessen Authentizität. Daher müsse das elektronische Dokument zusätzlich mit einer qeS der verantwortenden Person versehen sein.
■Anmerkung:
Sprachlich ist es ggf. verwirrend, wenn von Einreichung über EGVP die Rede ist, obwohl die Einreichung über beA erfolgt. Wenn ein Mitarbeitender das vom RA mit qeS signierte Dokument über dessen beA einreicht, enthält das Prüfprotokoll (VerificationReport) der Signatur den Hinweis:

Sendet hingegen der RA selbst, dann erhält man die Meldung:

Praxishinweis:
In der beA-Webanwendung wird immer eine angefügte Signatur erstellt. Das ist an dem zusätzlichen Kürzel .p7s erkennbar. Erkennbar ist das auch im Prüfprotokoll der Signatur (beim Export in der ZIP-Datei befindlicher VerificationReport) an dem Vermerk „Signatur ohne Dokumenteninhalt“. Wer mit externen Signaturen (z.B. SecSigner) arbeitet sollte im Auswahlfeld „Detached CAdES“ auswählen:

Hier lautet das zusätzliche Kürzel: .pkcs7.
BGH, Beschl. v. 29.5.2024 – I ZB 84/23
Ein Rechtsanwalt muss Vorkehrungen dafür treffen, dass ein Zustellungsdatum, das in einem von ihm abgegebenen elektronischen Empfangsbekenntnis eingetragen ist, auch in seiner – noch in Papierform geführten – Handakte dokumentiert wird. An die Zustellung anknüpfende Fristen müssen anhand der Angaben im elektronischen Empfangsbekenntnis berechnet werden.
Das LG hat die Klage mit Urt. v. 6.4.2023 abgewiesen. Das Urteil wurde der Klägerin ausweislich des elektronischen Empfangsbekenntnisses (eEB) ihres Prozessbevollmächtigten am 11.4.2023 über sein beA zugestellt. Er hat am 12.5.2023 beim OLG Berufung gegen dieses Urteil eingelegt und das Rechtsmittel in demselben Schriftsatz begründet. Das Berufungsgericht hatte die Klägerin mit ihr am 22.9.2023 zugestelltem Beschluss darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig zu verwerfen. Am 1.10.2023 hatte die Klägerin Stellung genommen und vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
Sie trug vor: „Zwar datiere die Verfügung, auf die das Urteil versandt worden sei, auf den 11.4.2023. Nach den vorliegenden Unterlagen sei es allerdings erst am 12.4.2023 per beA eingegangen. In der Kanzlei des Klägervertreters sei die Fristüberwachung bei beA-Eingängen so gestaltet, dass das Dokument am Eingangstag mit einem Dateinamen gescannt/gespeichert werde, der den Absender und das Datum der Erstellung des eingegangenen Schreibens wiedergebe; zugleich werde das Datum der Speicherung erfasst. Wegen der Anordnung, dies kalendertäglich zu tun, gewährleiste der Dateiname im Zusammenhang mit der Festlegung des Erstellungsdatums eine (weitere) Bestätigung des Eingangstermins. Es werde um Akteneinsicht gebeten um zu prüfen, ob ein eEB, das laut beA nicht gespeichert werden könne, für den 11.4.2023 vorliege.“
Mit der Klägerin am 9.10.2023 zugegangener Verfügung wurde Akteneinsicht bewilligt und mitgeteilt, dass sich als Anlage zum Verkündungsvermerk des LG ein Empfangsbekenntnis des Klägervertreters vom 11.4.2023 bei der Akte befinde. Am 11.10.2023 hatte die Klägerin ihren „schon angekündigten“ Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist wiederholt und „soweit erforderlich“ ergänzend einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist gestellt.
„Erst mit Eingang der Verfügung vom 9.10.2023 sei für ihren Prozessbevollmächtigten „belastbar“ klar geworden, dass tatsächlich eine Verfristung vorliege. In seiner Kanzlei würden im beA eingehende Schriftstücke am Tag der Kenntnisnahme ausgedruckt und der Papierstapel werde dem Sekretariat überstellt. Dort bestehe die generelle Anweisung, die Schriftstücke auf Fristen und Termine durchzusehen und diese im System zu notieren. Dem Klägervertreter würden die Schriftstücke nach Erfassung zur körperlichen Akte erneut vorgelegt, wobei der Posteingangsstapel separat gehalten werde. Er verfüge dann per Diktat die notwendige Weiterbearbeitung und weise zu Beginn des Diktats unter Nennung des Posteingangsdatums an, dass Fristen und deren Eintrag nochmals zu überprüfen seien. Dies stelle das erforderliche Vier-Augen-Prinzip sicher. In der vorliegenden Sache habe die zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte K. die Weiterbearbeitung durchgeführt. Es habe bislang nicht nachvollzogen werden können, warum auch die zweite Sicherung versagt habe.“
Das OLG ging davon aus, dass es an einer ausreichenden Darstellung, wie die Fristenüberwachung in der Kanzlei organisiert sei, fehlt: „Geschildert werde letztlich nur, dass per beA eingehende Dokumente mit einem Dateinamen gespeichert würden, der das Datum der Erstellung des eingegangenen Schreibens wiedergebe.“
„Der Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist vom 11.10.2023 sei ebenfalls statthaft. Allerdings sei der Antrag zu spät gestellt worden, weil die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist mit der Zustellung des Hinweisbeschlusses am 22.9.2023 zu laufen begonnen habe. Gleiches gelte für den am 11.10.2023 erneut gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist.“
„Unabhängig davon seien die Wiedereinsetzungsanträge auch unbegründet. Die Versäumung der Berufungsfrist beruhe auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, das ihr zuzurechnen sei. Aus dem Vorbringen der Klägerin gehe nicht hervor, dass in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten die Anweisung bestanden hätte, den für die Berechnung der Berufungs- wie der Berufungsbegründungsfrist maßgeblichen Zeitpunkt der Urteilszustellung (hier das Datum der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses) gesondert in der (in der Kanzlei des Klägervertreters noch in körperlicher Form geführten) Handakte zu vermerken. Der Vortrag zur Speicherung per beA eingehender Dokumente am Eingangstag lege vielmehr nahe, dass sich der Klägervertreter für die Fristenüberwachung auf die Richtigkeit des durch den Speichervorgang generierten „elektronischen Eingangsstempels“ verlasse. Außerdem fehlten Ausführungen dazu, wie der Fristenkalender der Kanzlei des Klägervertreters geführt werde, insbesondere wie sichergestellt sei, dass das für den Fristbeginn maßgebliche Datum tatsächlich und zutreffend im Kalender notiert werde. Der Klägervertreter habe schließlich auch nicht dargetan, dass er bei Vorlage der Akte zur Erstellung der Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift noch einmal die Fristberechnung in ausreichender Weise überprüft hätte.“
„Die Rechtsbeschwerde stellt die Richtigkeit des vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin vor dem Land- und Berufungsgericht abgegebenen elektronischen Empfangsbekenntnisses nicht in Frage.“
Und weiterhin:
a) „Hat eine Partei die Berufungsfrist versäumt, ist ihr nach § 233 Satz 1 ZPO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht. Fehler von Büropersonal hindern eine Wiedereinsetzung deshalb nicht, solange den Prozessbevollmächtigten kein eigenes Verschulden etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens trifft. Die Partei hat einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), der ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt. Verbleibt die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten versäumt worden ist, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet (st. Rspr.).“
b) „Das Berufungsgericht hat ein der Klägerin zurechenbares Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zu Recht darin gesehen, dass er keine Vorkehrung dafür getroffen hat, dass die Berufungsfrist anhand der Angaben im elektronischen Empfangsbekenntnis über die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils berechnet und notiert wird.“
aa) „Ein Rechtsanwalt ist zwar befugt, die Feststellung, Berechnung und Notierung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen gut ausgebildetem und sorgfältig überwachtem Büropersonal zu überlassen. Jedoch hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Insbesondere muss ein Rechtsanwalt sicherstellen, dass das für den Lauf einer Rechtsmittelfrist maßgebliche Datum der Urteilszustellung in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ermittelt wird (st. Rspr.).“ Eine verlässliche Grundlage für die Ermittlung des Zustellungsdatums bieten allein die Angaben in der die Zustellung dokumentierenden Urkunde, bei elektronischen Zustellungen also in dem vom Rechtsanwalt abgegebenen eEB.“
bb) Diesen Anforderungen hat die Büroorganisation des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht genügt. Er hat keine Vorkehrung dafür getroffen, dass das im eEB eingetragene Zustellungsdatum auch in seiner – noch in Papierform geführten – Handakte dokumentiert wird, was etwa dadurch hätte geschehen können, dass das eEB oder gegebenenfalls ein Screenshot davon ausgedruckt und zur Akte genommen wird. Dementsprechend ist die Berufungsfrist nicht aufgrund der Angaben im eEB, das das für den Fristbeginn maßgebliche Datum der Zustellung dokumentiert, berechnet worden, sondern aufgrund einer Speicherung der im beA eingegangen beglaubigten Urteilsabschrift unter einem Dateinamen, der das Datum der Speicherung enthält. Auch das Diktat, das der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nach seinen Angaben später veranlasst hat, enthält keinen Bezug zu den Angaben im eEB.“
■Anmerkung:
Die hybride Aktenführung (analog und digital) hat sich als Stolperstein erwiesen. Maßgeblich ist nicht die Speicherung von Dateinamen oder eEB, sondern ausschließlich das Datum der Abgabe des eEB. Dieses ergibt sich unveränderbar aus der gesendeten Nachricht (Datei: xjustiz_nachricht.html) im beA. Exportieren und speichern Sie die ZIP-Datei (in der die xjustiz_nachricht.html enthalten ist, in der eigenen elektronischen Akte und notieren Sie die zu berechnenden Fristen nach dem Abgabedatum (hier im Beispiel: 8.9.2024).

Praxishinweis:
Verzichten Sie auf eine hybride Aktenführung. Ab 1.1.2026 muss die Justiz elektronische Akten führen. Der Aufwand und das Risiko, das mit einer hybriden Aktenführung verbunden ist, wiegt mehr als ein vermeintlicher Vorteil nach dem Motto: „Das haben wir schon immer so gemacht“.
BGH, Beschl. v. 11.7.2024 – IX ZB 31/23
Ist ein Rechtsanwalt nicht in der Lage, die Büroräume seiner Kanzlei zu betreten, weil er den Büroschlüssel im Büro vergessen hat, bedarf eine ein Verschulden des Rechtsanwalts an einer Fristversäumnis ausschließende Darlegung Ausführungen dazu, dass und aus welchen Gründen keine der naheliegenden Möglichkeiten, innerhalb der noch zur Verfügung stehenden Frist einen Zugang zu den Büroräumen zu ermöglichen oder einen anderen Rechtsanwalt mit der Vornahme der fristwahrenden Handlung zu beauftragen, einen Erfolg gehabt hätte.
Das Urteil wurde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 2.5.2023 zugestellt. Diese legte am 5.6.2023 Berufung ein und beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist.
Zur Begründung führte sie aus: „Sie habe wegen eines unvorhergesehenen Schwindels das Büro am 2.6.2023 vor Fertigstellung der Berufungsschrift verlassen müssen, um sich zuhause auszuruhen. Sie habe hierbei den Schlüssel in den Büroräumen vergessen, so dass sie das Büro nicht wieder habe betreten können, als sie – nachdem sie mehrere Stunden zuhause geschlafen habe – um 19 Uhr desselben Tages dorthin zurückgefahren sei, um die Berufungsschrift fertigzustellen. Sie habe sodann versucht, eine Kollegin, die sich jedoch auf einem Auswärtstermin befunden habe und deshalb nicht habe kommen und aufsperren können, telefonisch zu erreichen. Telefonnummern weiterer Kollegen oder auch der Sekretärin habe sie nicht in ihrem Handy gespeichert gehabt.“
Diese Begründung war nicht ausreichend:
… „Die Beklagten hätten weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass sie die Berufungsfrist ohne Verschulden versäumt hätten. Insbesondere sei nicht dargelegt und glaubhaft gemacht worden, welche Anstrengungen die Beklagtenvertreterin zur Einschaltung eines Vertreters unternommen habe, nachdem der Schwindel vorbei gewesen sei und noch über vier Stunden zur Verfügung gestanden hätten, die Berufungseinlegung zu veranlassen.
Dies sei nach der Rechtsprechung des BGH jedoch Voraussetzung, um von einem Fristversäumnis ohne Verschulden ausgehen zu können. … Vergeblich rügt die Rechtsbeschwerde, das Berufungsgericht habe den Kernbestandteil des Vorbringens der Beklagten bezüglich der Anstrengungen ihrer Prozessbevollmächtigten zur Fristwahrung übergangen. … In der Sache hat es ausgeführt, es fehle an einer Darlegung der Anstrengungen der Beklagtenvertreterin zur Einschaltung eines Vertreters. Den Beschlussgründen ist zu entnehmen, dass die Beklagtenvertreterin keinen Kanzleimitarbeiter habe erreichen können, der im Stande gewesen wäre, ihr die Bürotür zu öffnen. Damit hat das Berufungsgericht den Kernbestandteil des Vorbringens der Beklagten bezüglich der Anstrengungen ihrer Beklagtenvertreterin zur Einschaltung eines Vertreters nicht übergangen, sondern den Versuch der telefonischen Kontaktierung der einzig im Handy eingespeicherten Kollegin für nicht hinreichend erachtet.“
Weiterhin: „Nach ständiger Rechtsprechung des BGH hat ein Rechtsanwalt, der eine Frist bis zum letzten Tag ausschöpft, wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist infolgedessen ausgeschlossen, wenn von ihm nicht alle erforderlichen und zumutbaren Schritte unternommen wurden, die unter normalen Umständen zur Fristwahrung geführt hätten … hierzu kann auch der Versuch der Einschaltung eines Vertreters zählen.
Diese Maßstäbe beziehen sich, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht ausschließlich auf krankheitsbedingte Ausfälle eines Prozessbevollmächtigten, sondern allgemein auf Ausfälle am letzten Tag der Frist. … Zu Recht wirft die Beschwerdeerwiderung die Frage auf, warum die Beklagtenvertreterin nicht zu der im Außentermin befindlichen Kollegin gefahren ist, um den Kanzleischlüssel abzuholen. Ebenso wenig legen die Beklagten dar, dass es ihrer Prozessbevollmächtigten nicht möglich gewesen sei, über die bei dem Außentermin befindliche Kollegin die Telefonnummern weiterer Kanzleikollegen oder -mitarbeiter zu erfragen. Auch ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass es der Beklagtenvertreterin nicht möglich gewesen sei, auf anderem als dem telefonischen Wege weitere Kanzleikollegen oder -mitarbeiter zu erreichen. Schließlich zeigen die Beklagten nicht auf, dass weder ein Kontakt zu einem Schlüsseldienst noch – im Falle der Aufschaltung der Alarmanlage der Kanzlei – zu einer Notrufzentrale möglich gewesen ist, um die alarmgesicherte Kanzleitür öffnen zu lassen.“
■Anmerkung:
Dieser Fall passt in die Rubrik „Dumm gelaufen“. Dass man sich selbst aussperrt, kann immer mal der Fall sein. Dass jedoch im Handy nur eine einzige Telefonnummer von einer Kanzleikollegin gespeichert war, zeigt ein Organisationsverschulden. Der Hinweis des Gerichts, man hätte auch zur Kollegin fahren oder diese nach weiteren Telefonnummern fragen können ist gut gemeint, vielleicht aber auch der Aufregung geschuldet, die sich in einer solchen Situation breit macht.
Praxishinweis:
Aus Erfahrungen (anderer) lernen: Welche Anweisungen gibt es in Ihrer Kanzlei für einen solchen Notfall? Wäre es möglich gewesen, im Home-Office die Berufungsschrift zu erstellen und zu versenden? Hätte ggf. ein Kollege die Berufung einlegen können? Auch wenn die ständige Rechtsprechung die Ausschöpfung einer Frist bis zum letzten Tag zugesteht, empfiehlt es sich, mit Vorfristen zu arbeiten und eben nicht die Frist bis zum letzten Tag auszureizen. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wurde auf 45.600 EUR festgesetzt. Da wäre die Beauftragung eines Schlüsseldienstes oder einer Notrufzentrale, um die alarmgesicherte Kanzleitür öffnen zu lassen, das kleinere Übel gewesen.
Übrigens: Auch die Nutzung der beA-App der BRAK könnte in Zukunft hilfreich sein. Zumindest dann, wenn man vorher einen Nachrichtenentwurf im beA gespeichert hat. Dann könnte seit dem 12.12.2024 der Nachrichtenentwurf über die beA-App versendet werden. Das Erstellen von neuen Nachrichten über die beA-App ist aktuell noch nicht möglich.
BGH, Beschl. v. 30.7.2024 – AnwZ (Brfg) 13/24
Wegen Vorabinformation der BRAK über die Freischaltung von weiteren besonderen elektronischen Anwaltspostfächern
Der Kläger, ein Einzelanwalt, unterhält neben seinem Hauptsitz zwei weitere Kanzleisitze. Die RAK des Hauptsitzes teilte ihm auf Anfrage mit, dass er für jeden Kanzleisitz ein eigenes beA benötige und man ihm die SAFE-IDs mitteilen werden. Anschließend müsse er eine beA-Karte für jede weitere Kanzlei erwerben.
Die Eröffnung eines beA erfolgt im automatisierten Verfahren aufgrund der Meldungen der regionalen Rechtsanwaltskammern. Von diesen erhält die Beklagte (BRAK) täglich automatisiert und nur auf elektronischem Weg Informationen wie Neuzulassungen, die Errichtung weiterer Kanzleisitze, Widerruf von Zulassungen, Namens- oder Adressänderungen und Vertreterbestellungen. Die Bearbeitung dieser Informationen erfolgt automatisiert. Bei der Errichtung einer weiteren Kanzlei wird von der BRAK automatisch ein weiteres beA angelegt und freigeschaltet. Dazu wird eine SAFE-ID vergeben und in das Gesamtverzeichnis (BRAV) eingetragen. Dort kann sie vom RA eingesehen und abgerufen werden. Mittels der SAFE-ID kann sodann bei der BNotK eine beA-Karte beantragt werden. Bis diese Karte vorliegt, kann ein Zeitraum von bis zu zehn Tagen vergehen.
Anfang Juni 2019 wurde dem Kläger in einem Telefonat mit dem Bundesverwaltungsamt mitgeteilt, dass in einer von ihm als RA bearbeiteten Angelegenheit bereits im April 2019 der Widerspruchsbescheid erlassen und ihm in eines der beA für seine weiteren Kanzleien zugestellt worden sei. Auf Nachfrage bei der RAK des Hauptsitzes erfuhr er, dass die beA für seine weiteren Kanzleien bereits am 17.1.2019 eingerichtet und empfangsbereit geschaltet worden seien, was ihm jedoch nicht mitgeteilt worden sei. In einem dieser beA waren zwölf und in dem anderen drei Nachrichten eingegangen, auf die er jeweils keinen Zugriff gehabt hatte.
Zunächst hatte der Kläger die BRAK vor dem AGH im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Anspruch genommen (II AGH 4/19). Nachdem er die Leserechte zu den beA seiner weiteren Kanzleien erhalten hatte, hat er sein Begehren im Wege eines Fortsetzungsfeststellungsantrags weiterverfolgt. Diesen Antrag hat der Anwaltsgerichtshof mit Beschl. v. 16.12.2019 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichteten Rechtsmittel des Klägers hat der Senat mit Beschl. v. 19.10.2021 (AnwZ (B) 3/20) als unzulässig verworfen. Des Weiteren hatte der Kläger beantragt, ihm wegen Datenschutzverstößen im Jahr 2019 gem. Art. 82 Abs. 1 DS-GVO ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen.
Der BGH geht davon aus, dass dem Kläger „bereits in Anbetracht der von ihm als Rechtanwalt zu erwartenden Gesetzeskenntnis aus § 31a Abs. 7 Satz 1 BRAO und § 11 Abs. 2 der Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer (RAVPV) bekannt sein musste, dass die Beklagte für seine weiteren Kanzleien (nach allgemeiner Wiederinbetriebnahme des beA) weitere beA einrichten und die Bezeichnung der beA in das Gesamtverzeichnis eintragen würde.“
Eine Mitteilungspflicht der BRAK wäre zukünftig in den berufsrechtlichen Bestimmungen der BRAO und nicht im Datenschutz zu regeln:
„Aus §§ 22 und 23 RAVPV folge, dass nur der Postfachinhaber anderen Personen den Zugang zu seinem Postfach gewähren könne (vgl. insbesondere § 23 Abs. 2 und 3 RAVPV). Hieraus folge im Umkehrschluss, dass niemand anderes – und damit auch nicht die Beklagte – Zugang zu einem Postfach haben und daher den Inhalt nicht kennen könne, um darüber Auskunft zu erteilen. Es erscheine auch vor dem Hintergrund des von Rechtsanwälten zu wahrenden Berufsgeheimnisses nicht denkbar, dass ein Dritter, und sei es auch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, Zugriff auf den Inhalt eines Anwaltspostfachs haben solle. Abgesehen von der darin liegenden Verletzung der Verschwiegenheitspflicht zulasten des Anwalts würde eine derartige Möglichkeit auch einen gravierenden Verstoß gegen den Datenschutz darstellen, da die Beklagte und die lokalen Rechtsanwaltskammern kein berechtigtes Interesse an einem derartigen Zugriff hätten. Dies gelte uneingeschränkt, weshalb auch eine Auskunftserteilung über die Absender von Nachrichten in einem beA nicht in Betracht komme.“
Das Gericht hat durchaus Verständnis für die unglückliche Situation:
… „Der Senat verkennt nicht, dass die Einrichtung eines empfangsbereiten beA für eine weitere Kanzlei ohne sofortige Zugriffsmöglichkeit des Rechtsanwalts auf den Inhalt des beA keine Ideallösung ist, weil dort Dokumente eingehen können, die der Rechtsanwalt für einen begrenzten Zeitraum (bis zum Erhalt der beA-Karte) nicht einsehen und auf die er daher auch noch nicht reagieren kann. Sollte er deshalb – ohne sein Verschulden – prozessuale Fristen versäumen, ist ihm beziehungsweise der von ihm vertretenen Partei zwar Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (vgl. § 60 Abs. 1 VwGO, § 233 Satz 1 ZPO), so dass die Auswirkungen der verspäteten Kenntnisnahme vom Inhalt des neuen beA letztlich gering sein dürften. Ein System, das eine erst spätere und gegebenenfalls nicht fristgerechte Kenntnisnahme von in dem neuen beA eingegangenen Dokumenten zur Folge hat, ist dennoch unbefriedigend und mit der in § 31a Abs. 6 BRAO bestimmten Pflicht des Rechtsanwalts, den Zugang von Mitteilungen über das beA zur Kenntnis zu nehmen, nicht leicht in Einklang zu bringen. Insofern erscheinen – de lege ferenda – insbesondere Änderungen des Verfahrens zur Einrichtung eines empfangsbereiten beA im Falle der Errichtung einer weiteren Kanzlei erwägenswert, die dem Rechtsanwalt zeitgleich mit der Empfangsbereitschaft eines solchen beA die Kenntnisnahme von dort eingegangenen Dokumenten ermöglichen.“
■Anmerkung:
Die Quadratur des Kreises: Ohne SAFE-ID keine Antragstellung für eine beA-Karte. Nach der Eintragung im BRAV ist das beA, auch wenn man noch keinen Zugriff hat, bereits adressierbar. Bei Neuzulassungen wird dieses Problem aktuell so gelöst, dass die zuständige RAK vorab die SAFE-ID mitteilt, so dass direkt die beA-Karte beantragt werden kann. Bei der Zulassung von Berufsausübungsgesellschaften (BAG) ab 1.8.2022 gab es auch oftmals eine Überschneidung, bis die Karte für die BAG vorlag. Auch hier kam es vor, dass Nachrichten im Gesellschafts-beA eingegangen waren und noch nicht abgerufen werden konnten.
Praxishinweis:
Wer eine weitere Kanzlei errichtet, sollte mit seiner zuständigen RAK klären, ob diese, ähnlich wie bei Neuzulassungen, vorab die SAFE-ID mitteilen kann. Wünschenswert wäre es, wenn mit der automatischen Anlage eines weiteren beA dem Inhaber die SAFE-ID in sein „erstes“ beA mitgeteilt würde. Diese Programmierung wäre hilfreich und würde solche Verfahren entbehrlich machen.
BGH, Beschl. v. 31.7.2024 – XII ZB 573/23
Werden einem Rechtsanwalt die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt, hat er den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen eigenverantwortlich zu prüfen.
Die Rechtsmittelbegründung war nicht innerhalb der Frist des § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG eingegangen. Seinen Antrag auf Wiedereinsetzung begründete der Verfahrensbevollmächtigte unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Mitarbeiterin Frau E. wie folgt:
„Diese sei in der Kanzlei für die Fristenverwaltung zuständig. In den mehr als 20 Jahren ihrer Beschäftigung sei ihr bislang kein Fehler im Fristenkalender unterlaufen. Nach der Organisation des Büros werde zunächst eine Vorfrist von einer Woche eingetragen, wobei die Fristen sowohl in einem gesonderten Fristenkalender als auch digital in der Anwaltssoftware notiert würden. Neben der Vorfrist gebe es ferner die sogenannte Notfrist. Der Verfahrensbevollmächtigte kontrolliere regelmäßig die Einhaltung der Fristen. Sämtliche Mitarbeiter seien bei Aufnahme ihrer Tätigkeit über die Regelungen für die Fristenkontrolle und deren Bedeutung belehrt worden. Diese Belehrungen würden auch regelmäßig wiederholt, zuletzt am 4.8.2023. Der Verfahrensbevollmächtigte habe beim Diktat der Beschwerdeschrift explizit erklärt, dass die Frist für die Beschwerdebegründung einen Monat betrage und diese allerspätestens am 25.9.2023 beim Oberlandesgericht, hilfsweise beim Familiengericht Minden, einzugehen habe. Er habe ferner diktiert, dass ihm die Akte zur Vorfrist am 18.9.2023 vorgelegt werden solle, damit ausreichend Zeit für die Rechtsmittelbegründung verbleibe. Tatsächlich habe Frau E. die Vorfrist aber versehentlich für den 18.10.2023 und die Notfrist für den 25.10.2023 eingetragen. Dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners sei dies nicht aufgefallen, da er auf die ordnungsgemäße Einhaltung und Beachtung der Fristen vertraut habe und aufgrund seiner Arbeitsbelastung eine Kontrolle nicht erfolgt sei. Erst durch den Hinweis des Oberlandesgerichts vom 4.10.2023 habe er den Fehler bemerkt und nach seiner urlaubsbedingten Abwesenheit vom 3. bis zum 10.10.2023 den Wiedereinsetzungsantrag gestellt.“
Das Beschwerdegericht war der Auffassung, dass der Verfahrensbevollmächtigte „grundsätzlich darauf vertrauen dürfe, dass eine zuverlässige Bürokraft allgemeine Weisungen befolge, wenn nicht Umstände dazu Anlass geben würden, an der Umsetzung der Anweisung zu zweifeln. Allerdings habe der Verfahrensbevollmächtigte es entgegen seiner üblichen Büroorganisation unterlassen, die entsprechenden Fristen zu kontrollieren. Soweit er sich darauf stütze, dass die Kontrolle aufgrund der allerdings nicht näher dargelegten anwaltlichen Arbeitsbelastung unterlassen worden sei, könne dies den Antragsgegner nicht entlasten. Im Übrigen hätte spätestens die ihm unter dem 12.9.2023 erfolgte Übermittlung des Aktenzeichens des Beschwerdeverfahrens Anlass geben müssen, die notierten Fristen (erneut) zu prüfen. Dass die Nichtwahrung der Beschwerdebegründungsfrist auch auf anwaltlichem Verschulden beruhte, lege des Weiteren der Umstand nahe, dass die Begründungsschrift vom 2.10.2023 an das hierfür unzuständige Amtsgericht gerichtet gewesen sei, ohne dass die zu diesem Zeitpunkt bereits verstrichene Begründungsfrist aufgefallen sei.“
Der BGH gab der Rechtsbeschwerde insoweit Recht, dass diese Ausführungen des Beschwerdegerichts nicht tragfähig seien. So führe die Gewohnheit eines Rechtsanwalts, in seinem Kanzleibetrieb über das gebotene Maß hinaus weitere Vorkehrungen zur Vermeidung von Fristversäumnissen zu treffen, nicht zu einer Verschärfung seiner Sorgfaltspflichten, weshalb dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners auch nicht zum Vorwurf gemacht werden könne, dass er die Fristen entgegen seiner sonst üblichen Büroorganisation nicht nach deren Eintragung im Fristenkalender anlasslos kontrolliert habe. Darüber hinaus habe die lediglich informatorische Mitteilung des zweitinstanzlichen Aktenzeichens unbeschadet der Frage ihres Eingangs beim Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners keinen Anlass zu einer Bearbeitung der Akte gegeben, die eine Pflicht zur Prüfung der notierten Fristen hätte auslösen können. Auch ließen sich aus der nach dem Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist erfolgten Adressierung des Begründungsschriftsatzes an das für dessen Empfang nicht zuständige Amtsgericht (§ 117 Abs. 1 Satz 2 FamFG) keine Rückschlüsse auf ein etwaiges Anwaltsverschulden hinsichtlich der damit vorliegend nicht in Zusammenhang stehenden Versäumung der Begründungsfrist ziehen.
Jedoch: „Auf all dies kommt es aber nicht entscheidend an. Vielmehr erweist sich die angefochtene Entscheidung im Ergebnis gleichwohl als zutreffend, weil die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist aus anderen Gründen auf einem Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten beruht, das sich der Antragsgegner nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.“ … „Der Wiedereinsetzungsantrag des Antragsgegners und die eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin enthalten keine hinreichende Schilderung der tatsächlichen Abläufe, die nach den vorstehenden Maßstäben ein fehlendes Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten annehmen ließe.“
Und weiter: „Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass ein Rechtsanwalt die Führung des Fristenkalenders im Rahmen einer von ihm zu verantwortenden Büroorganisation auf sein geschultes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal zur selbstständigen Erledigung übertragen darf. Zu den die Führung des Fristenkalenders betreffenden Aufgaben, die delegiert werden dürfen, gehört auch die Notierung von Vor- und Hauptfristen. Allerdings muss ein Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare tun, um die Wahrung von Fristen zu gewährleisten. So hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört dabei die klare Anweisung, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender notiert werden müssen, bevor ein entsprechender Vermerk in der Akte eingetragen werden kann. Denn sonst besteht die Gefahr, dass der Erledigungsvermerk in der Handakte bereits vor der Eintragung in den Kalender angebracht wird und die Gegenkontrolle versagt.
Darüber hinaus hat ein Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Verfahrenshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden. In diesem Fall muss der Rechtsanwalt stets auch alle unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Handakten des Rechtsanwalts in herkömmlicher Form als Papierakten oder als elektronische Akten geführt werden. Die anwaltliche Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakte nicht zugleich zur Bearbeitung mit vorgelegt worden ist, so dass der Rechtsanwalt in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen hat. Der Rechtsanwalt muss die erforderliche Einsicht in die Handakte nehmen, indem er sich entweder die Papierakte vorlegen lässt oder das digitale Aktenstück am Bildschirm einsieht. Gemessen hieran kann vorliegend die Möglichkeit, dass die Fristversäumung vom Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers verschuldet war, nicht ausgeschlossen werden.“
Denn: „Nach dem Vortrag des Antragsgegners hat sein Verfahrensbevollmächtigter beim Diktat der Beschwerdeschrift explizit auch erklärt, dass die Beschwerdebegründungsfrist bis zum 25.9.2023 laufe und ihm die Akte zur Vorfrist am 18.9.2023 vorgelegt werden solle, damit ausreichend Zeit für die Rechtsmittelbegründung verbleibe. Die bis dahin zuverlässige Mitarbeiterin habe aber versehentlich die Vorfrist für den 18.10.2023 und die Notfrist für den 25.10.2023 eingetragen. Mit dem Diktat der Beschwerdeschrift war diese fristgebundene Verfahrenshandlung indes nicht abgeschlossen. Vielmehr musste der Verfahrensbevollmächtigte noch die Endkontrolle des nach seinem Diktat gefertigten Schriftsatzes vornehmen, für diesen hier in Form einer qeS die Verantwortung übernehmen und die Versendung des Schriftsatzes an das Amtsgericht veranlassen. Da zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden und erst danach ein entsprechender Vermerk in der Handakte erfolgt, hätten die Fristen anlässlich der Erledigung des Diktats der Beschwerdeschrift zuerst im Kalender notiert und sodann ein Vermerk in den Handakten angebracht werden müssen. Zu dem Zeitpunkt, als der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners mit der Endkontrolle der Beschwerdeschrift befasst war, hätte im Falle einer ordnungsgemäßen Büroorganisation die Handakte also durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lassen müssen, dass die Vorfrist und die Notfrist in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Es ist allerdings nicht dargelegt, dass in der Handakte die korrekten Fristen notiert wurden, weshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass dort dieselben falschen Fristen wie im Fristenkalender eingetragen worden sind. Dies hätte dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners anlässlich der Endkontrolle des Beschwerdeschriftsatzes auffallen müssen.“
Weiterhin: „Ebenso wenig ist dargelegt, wann der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners die Akten zur Erstellung der Beschwerdebegründung vorgelegt bekam oder wann er sie sich selbst zur Bearbeitung gezogen hat. Angesichts des Umstands, dass er am 2.10.2023 den fehlerhaft an das Amtsgericht adressierten Begründungsschriftsatz elektronisch signiert hat, müssen ihm die Akten – aus welchem Grund auch immer – vor der im Fristenkalender für den 18.10.2023 eingetragenen Vorfrist vorgelegen haben. Bei diesem Geschehensablauf ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass er die Akten auch schon so rechtzeitig zur Bearbeitung vorliegen hatte, dass er die Beschwerdebegründung noch fristwahrend hätte fertigen oder zumindest eine (erstmalige) Fristverlängerung hätte beantragen können. Es ist somit nicht auszuschließen, dass die fehlerhafte Eintragung der Fristen im Fristenkalender nicht kausal für die Fristversäumung war, sondern der Verfahrensbevollmächtigte, dem auch am 2.10.2023 die bereits abgelaufene Beschwerdebegründungsfrist nicht aufgefallen ist, diese Frist durch ein eigenes Verschulden versäumt hat. Der Senat war auch nicht gehalten, dem Antragsgegner Gelegenheit zur Präzisierung seines Vortrags zu geben. Grundsätzlich müssen gemäß § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. §§ 234 Abs. 1, 236 Abs. 2 ZPO alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden. Zwar dürfen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung geboten gewesen wäre, auch noch nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden Diese Voraussetzungen liegen hier indessen nicht vor, weil die Fragen, ob der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners anlässlich der Endkontrolle der Beschwerdeschrift die Fristvermerke in der Handakte überprüft hat und wann ihm die Akten zur Erstellung der Beschwerdebegründung vorgelegen haben, zentrale Aspekte zur Beurteilung der Frage des Verschuldens an der Fristversäumung darstellen und das Vorbringen des Antragsgegners somit die gebotene geschlossene Schilderung des konkreten Geschehensablaufs insgesamt vermissen ließ.“
■Anmerkung:
Die Mitarbeiterin hatte sich bei der Eintragung der Frist und auch der Vorfrist um einen Monat „verrechnet“. Ausschlaggebend war jedoch, dass der RA, obwohl er bereits am 2.10.2023 eine qeS angebracht hat, den Ablauf der Fristen hätte prüfen müssen. Dann hätte ihm auffallen müssen, dass die für den 18.10. bzw. 25.10. eingetragenen Fristen falsch waren. Auch in dieser Sache war das Verschulden des RA ausschlaggebend und nicht die von der Mitarbeiterin vorgenommene falsche Eintragung. Der BGH stellt des Weiteren klar, dass es unerheblich ist, ob die Handakten noch analog oder als elektronische Akten geführt werden. Der Gegenstandswert in dieser Sache wurde auf 293.000 EUR festgesetzt.
Praxishinweis:
Unabhängig davon, ob Sie noch hybride Akten oder bereits ausschließlich elektronische Akten führen: Legen Sie Regeln fest, wann und wie Fristen und Vorfristen notiert werden. Ein separater Papierkalender ist nicht erforderlich. Achten Sie als RA jedoch darauf, dass bei einem Aufruf der Akte immer auch die kommenden Fristen überprüft werden. Das Gericht hat (hoffentlich zu Recht) angenommen, dass der RA am 2.10.2023 die qeS selbst angebracht hat. Nehmen Sie die Anbringung einer qeS als Qualitätskontrolle und prüfen Sie regelmäßig, ob Fristen zu beachten sind und ob diese korrekt notiert wurden.
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