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A. Einleitung

Unsere vorige e-Broschüre trug den Untertitel „Nachholbedarf bei der Digitalisierung unverkennbar“</strong>; und auch heute kann ich Ihnen keine positivere Einschätzung vermitteln.

Leider sind überall in Deutschland die gleichen Beobachtungen zu machen, ob bei der Digitalisierung, bei der Corona-Pandemie, bei der Hochwasser-Katastrophe oder beim Afghanistan-Desaster:

  • oft zögerliches und unentschlossenes Vorgehen,
  • vielfach verwaltungstypische Behäbigkeit und bürokratische Blockaden,
  • unübersichtliche Zuständigkeiten und
  • besonders schleppende Umsetzung.

Ein aktuelles Beispiel aus dem Bereich der zögerlichen Digitalisierung ist die digitale Gesetzesveröffentlichung in Deutschland, die ursprünglich Anfang 2022 starten sollte. Jetzt geht die Bundesregierung davon aus, dass eine erste Umsetzungsstufe im ersten Quartal 2023 erreicht wird (siehe unten E.). Warten wir mal ab, was wir 2023 darüber zu berichten haben.

Und natürlich rächen sich irgendwann die Versäumnisse der Vergangenheit. So konnte man bisher immer davon ausgehen, dass Hardware uneingeschränkt zur Verfügung steht und musste sich bei Verwaltung und Justiz nur mit umständlichen und aufwändigen Beschaffungsvorgaben herumschlagen – wer einmal an einer EU-weiten Ausschreibung beteiligt war, weiß, wovon ich rede. Letztlich wird alles teurer und kommt später – so zumindest mein sicherlich sehr subjektiv geprägter Eindruck. Aber jetzt kommen auch noch objektive Hindernisse hinzu. So bremst der auch in der Tagespresse beschriebene Chipmangel nicht nur die Produktion in der Autoindustrie, sondern – so jedenfalls die Bekundungen aus einem großen Bundesland – auch den elektronischen Rechtsverkehr, weil Kartenlesegeräte einfach nicht in ausreichender Menge verfügbar sind!

Wo bleibt das Positive?

Ein etwas zwiespältiges Bild bieten hier die gerichtlichen Verhandlungen im Wege der Videokonferenz, die die Vorschrift des § 128a ZPO bereits seit vielen Jahren ohne gravierende gesetzliche Einschränkungen erlaubt. Dass die Verhandlungen im Wege der Videokonferenz auch eineinhalb Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie noch keine ausschließliche Erfolgsgeschichte ist, liegt bisher vor allem an der noch fehlenden oder nicht ausreichenden technischen Ausstattung. Auch hier wirken also die früheren Versäumnisse noch nach.

Nicht nachvollziehbar und wenig förderlich ist in diesem Zusammenhang, dass der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung (siehe unten F.) zusätzliche technische Hürden aufstellt, für die es im Gesetz keinerlei Stütze gibt.

Nach Einschätzung der gerichtlichen Praxis sprechen die umfangreichen Erfahrungen mit Videoverhandlungen in den letzten eineinhalb Jahren vielmehr dafür, dass solche Verhandlungen auch nach der Pandemie eine Selbstverständlichkeit bleiben beziehungsweise werden, wie es gerade die erfahrenen Richter Müller und Windau in ihrem Beitrag in der DRiZ 2021, 332 überzeugend dargelegt haben.

Denn der Anwendungsbereich von Videoverhandlungen geht weit über Massenverfahren hinaus. Sicherlich wird es immer Verhandlungen und Verfahrenskonstellationen geben, in denen eine persönliche Anwesenheit der Beteiligten im Sitzungssaal vorzuziehen ist. Die Praxiserfahrungen zeigen aber, dass tatsächlich in erstaunlich vielen Fallgestaltungen auf eine persönliche Anwesenheit im Gerichtssaal verzichtet werden kann, gerade wenn wirtschaftliche Interessen und nicht persönliche Konflikte im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen. So wurden nach Angaben des Deutschen Richterbundes in Niedersachsen im Pandemie-Winter 2020/2021 fast die Hälfte aller Verhandlungen [ganz oder teilweise] im Wege der Bild- und Tonübertragung durchgeführt.

Aus Bayern wird gemeldet, dass seit Juli 2021 alle 99 bayerischen Gerichte Zugang zu Videokonferenzanlagen hätten. Insgesamt seien 108 Videokonferenzanlagen, insbesondere mit der verstärkten Ausstattung der Gerichte seit dem Jahr 2018 beschafft worden. Auch die drei Generalstaatsanwaltschaften Bayerns hätten je eine Anlage. Zum Ausbau der Video-Verhandlungen setze die Justiz neben der Ausstattung der Gerichte mit Videokonferenzanlagen auch auf den Einsatz eines Konferenz-Tools. Nach einer erfolgreichen Pilotphase sei der Einsatz bayernweit technisch freigegeben worden.

Damit konnte den Beteiligten in sehr vielen Gerichtsverhandlungen nicht nur das Corona-Ansteckungsrisiko erspart werden, sondern auch die oft mühevolle und aufwendige Anreise. Gerade aus anwaltlicher Sicht müsste die Zeitersparnis durch Wegfall umständlicher Anreisen zu Gerichtsterminen ein wesentliches Argument für die Ausweitung der Videoverhandlungen sein.

Videoverhandlungen können auch oder gerade dort sinnvoll sein, wo mündliche Verhandlungen freigestellt sind (vgl. § 128 Abs. 4 ZPO) oder wo der Sach- und Streitstand formlos erörtert und nach Möglichkeit Einvernehmen über das weitere Vorgehen erzielt werden soll. So kann auf diese Weise schnell und einfach z.B. rechtliches Gehör im einstweiligen Rechtsschutz gewährt, mit Sachverständigen und Parteien die Durchführung der Begutachtung erörtert oder mit rechtlich unerfahrenen sogenannten Naturalparteien der Sachverhalt erhellt oder die Rechtslage erläutert werden.

Erforderlich ist hierfür selbstverständlich, dass zeitnah die dafür geeignete und erforderliche Technik flächendeckend zur Verfügung steht. Dies bezieht sich nicht nur auf die erforderliche Hardware, sondern auch auf die einzusetzenden Programme, auf die derzeit der Datenschutz noch ein teilweise sehr kritisches Auge wirft. Auch rechtliche Anpassungen sind hier vermutlich noch durch den Gesetzgeber zeitnah vorzunehmen.

In diesem Zusammenhang ist von Interesse, das das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) gegenwärtig prüft, ob und wie die gesetzlichen Regelungen zum Einsatz von Videokonferenztechnik weiter verbessert und gegebenenfalls erweitert werden könnten – auch über die Pandemie hinaus. Dazu ist eine Umfrage bei Ländern, Bundesgerichten und Anwaltschaft mit der Möglichkeit zur Stellungnahme durchgeführt worden, die nun ausgewertet wird.

Aber es gibt noch mehr Positives zu berichten. Der Untertitel dieser Ausgabe lautet „Chatbot als Bürgerkontakt – Lösung für die Zukunft?“; und damit bewegen wir uns auf ein ganz neues und zukunftsträchtiges Feld.

Chatbots sind vor allem neue Instrument für Marketing, Verkauf und Kundenservice. Es sind digitale Assistenten, mit dem die Benutzer durch Text- oder Spracheingabe kommunizieren können. Das technische Dialogsystem bündelt alle Informationen in einem einzigen Kanal und bearbeitet mit ihrer Hilfe die Anfragen. Ein Chatbot übernimmt insbesondere standardisierte und/oder wiederholende Aufgaben. Der Beitrag von Ralf HülsbömerBürgerservices rund um die Uhr – Chatbot als Bürgerkontakt“ erläutert den Einsatz solcher Chatbots in der öffentlichen Verwaltung und schlägt den Bogen zu der Frage, ob solche Anwendungen auch im Kontakt zwischen Bürger und Justiz eingesetzt werden können.

Was gibt es noch im elektronischen Rechtsverkehr?

Man mag es kaum glauben, aber es ist eine Tatsache: ab 1.1.2022 kommt der verbindliche elektronische Rechtsverkehr! Dann werden Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dazu verpflichtet sein, vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronische Dokumente an die Gerichte zu übermitteln; an diesem Tag tritt § 130d ZPO in Kraft. Auch in den anderen Verfahrensordnungen werden entsprechende Regelungen in Kraft treten, vgl. § 46g ArbGG, § 65d SGG, § 55d VwGO, § 52d FGO. Das bedeutet, dass in 3 Monaten Korrespondenz mit der Justiz auf andere Weise – sei es durch Brief, sei es durch Fax – unzulässig sein wird. Den Kanzleien bleibt also nur noch ein sehr knapp bemessenes Zeitfenster, um ihre Arbeitsabläufe der zukünftigen Rechtslage anzupassen, sofern man diese Aufgabe noch nicht erfolgreich abgeschlossen hat. Der digitale Postausgang kommt – da sollte sich jeder selbst die kritische Frage stellen:

„Sind wir ausreichend vorbereitet?“

Und deswegen bietet diese e-Broschüre diesmal drei Beiträge unserer „Stamm-Autorin“ Ilona Cosack. In dem Beitrag „beA rüstet auf“ berichtet sie über die letzten Aktualisierungen im beA. Der zweite Beitrag beleuchtet die “kleine BRAO-Reform”, die am 1.8.2021 in Kraft getreten ist, und deren Auswirkungen auf das beA. Im drittenBeitrag geht es um eine praktisch sehr bedeutende Frage, nämlich der Rechtsprechung zur Kontrolle der Eingangsbestätigung bei Nutzung des beA.

Zum Abschluss folgt dann wieder ein bunter Strauß an weiteren Informationen aus dem Bereich der IT im juristischen Umfeld.

Wir wünschen Ihnen eine angenehme und nutzbringende Lektüre unserer e-Broschüre.

Dr. Wolfram Viefhues

Herausgeber

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