1. Das Recht des Arbeitnehmers, einem Betriebsübergang gemäß § 613a BGB zu widersprechen, kann verwirken.
2. Die Verwirkung tritt der regelmäßig nach Ablauf eines Zeitraums von 7 Jahren ein. Von einer längeren Frist kann nur ausgegangen werden, wenn durch den Berechtigten besondere Umstände vorgetragen werden, die die Annahme eines längeren Zeitraums rechtfertigen.
[Redaktionelle Leitsätze]
LAG Düsseldorf, Urteil v. 18.11.2020 – 4 Sa 397/20
Die Beklagte, eine regionale Selbstverwaltungskörperschaft von Betriebskrankenkassen, betrieb als Eigenbetrieb ein Abrechnungszentrum, über das ihre Mitglieder Apothekenleistungen abrechnen konnten. Nachdem ein Teil der Abrechnungsaufträge entzogen wurde, entschied die Beklagte die Abrechnungsabteilung in ein privatwirtschaftliches Unternehmen auszugliedern. Eine entsprechende Gesellschaft, eine GmbH & Co. KG, an der die Beklagte zunächst als Kommanditistin beteiligt war, wurde im Jahr 2011 gegründet. Mit dem Teilbetriebsveräußerungsvertrag vom 16.6.2011 erfolgte die Übertragung der Aufgaben auf die neu gegründete Gesellschaft.
Die betroffenen Arbeitnehmer, so auch die insgesamt 13 Kläger des hiesigen Rechtsstreits, wurden mit Schreiben vom 9.5.2011 darüber informiert, dass das Abrechnungszentrum und damit auch ihre Arbeitsverhältnisse zum 1.06.2011 auf die neu gegründete Gesellschaft übergehen werden. Das Schreiben enthielt eine Belehrung über das Widerspruchsrecht gemäß § 613a Abs. 6 BGB. Die erteilten Informationen waren jedoch teilweise unvollständig. Insbesondere erfolgte keine Information über das Haftungssystem gemäß § 613a BGB.
In einem Überleitungstarifvertrag wurde den betroffenen Arbeitnehmern ein Rückkehrrecht für den Fall zugesichert, dass ihnen gegenüber eine betriebsbedingte Kündigung durch den Erwerber ausgesprochen würde. Diese Regelung war befristet bis zum 31.12.2015.
Die Beklagte trat im Jahr 2014 als Gesellschafterin aus der GmbH & Co. KG aus. Im Jahr 2018 entschieden mehrere Betriebskrankenkassen die Abrechnungsleistungen zukünftig von einem anderen Dienstleister durchführen zu lassen, an dem die verbliebenen Gesellschafter der GmbH & Co. KG, nicht jedoch die Beklagte, beteiligt waren. Nach diesem Auftragsrückgang stellte die GmbH & Co. KG im Februar 2019 Insolvenzantrag. Das Insolvenzverfahren wurde am 1.5.2019 eröffnet, der operative Geschäftsbetrieb wurde eingestellt. Mit Schreiben aus dem Juni 2019 widersprachen die Kläger gegenüber der Beklagten dem Betriebsübergang aus dem Jahr 2011. Die GmbH & Co. KG kündigte im Juli 2019 allen Arbeitnehmern, so auch den hiesigen Klägern, mit Wirkung zum 31.12.2019.
Nachdem die Beklagte die Beschäftigung der Kläger ablehnte, erhoben diese im Januar bzw. April 2020 Klage. Das Arbeitsgericht wies die Klagen insgesamt ab. Die hiergegen gerichtete Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte keinen Erfolg.
Das LAG hält zunächst unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BAG fest, dass auch das Widerspruchsrecht gemäß § 613a Abs. 6 BGB verwirkt werden kann (BAG, Urt. v. BAG 28.6.2018 – 8 AZR 101/17). Wie jedes Recht könne auch das Widerspruchsrecht nur unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben ausgeübt werden. Dementsprechend könne der Berechtigte das Recht auch verwirken.
Wie ebenfalls durch das BAG in der genannten Entscheidung festgehalten, sei Voraussetzung für die Verwirkung einerseits, dass der Arbeitnehmer überhaupt über das ihm zustehende Widerspruchsrecht im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang informiert wurde. Sodann müsse er durch sein Verhalten zu erkennen gegeben haben, dass er von diesem Widerspruchsrecht keinen Gebrauch mache. Davon könne ausgegangen werden, wenn der Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum die Arbeit bei dem Betriebsübernehmer fortgesetzt habe. Weiter sei nach der Rechtsprechung des BAG davon auszugehen, dass eine mehr als 7-jährige Tätigkeit nach dem Betriebsübergang für den Betriebsübernehmer einen derart erheblichen Zeitraum darstelle, dass neben dem Umstandsmoment auch das Zeitmoment für die Verwirkung erfüllt sei.
Nach der Entscheidung des LAG beginnt mit dem Ende der ursprünglichen Widerspruchsfrist aufgrund des Belehrungsschreibens zum Betriebsübergang der Zeitraum für die Beurteilung des Eintretens des Zeitmoments zu laufen. Im vorliegenden Sachverhalt sei somit im Juni 2011 die Widerspruchsfrist gegen den Betriebsübergang gemäß dem unzureichenden Belehrungsschreiben abgelaufen. Anders als von den Klägern angenommen, verschiebe sich dieser Zeitraum auch nicht durch das Rückkehrrecht gemäß dem Tarifvertrag. Zwar möge sich durch diese Rückkehrmöglichkeit, deren Voraussetzung allerdings eine betriebsbedingte Kündigung gewesen wäre, das Vertrauen der Beklagten durch den Zeitablauf abgeschwächt haben. Da jedoch der Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung nicht der alleinige Grund für die Ausübung des Widerspruchsrechtes sei, führe das nicht dazu, dass ein späterer Zeitpunkt für die Beurteilung zugrunde gelegt werden müsse.
Der Beklagten könne schließlich auch nicht vorgeworfen werden, sie habe von vornherein geplant, die GmbH & Co. KG nach Ablauf von mehr als 7 Jahren in die Insolvenz gehen zu lassen. Grundsätzlich könne sich daraus, wäre dieser Vorwurf berechtigt, eine Änderung für die Beurteilung der Verwirkung ergeben. Indes könne im vorliegenden Fall für eine solche Vorgehensweise kein Anhalt gefunden werden, da die Beklagte u. a. bereits seit dem Jahr 2014 nicht mehr Gesellschafterin der GmbH & Co. KG gewesen sei und damit ihren Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft verloren habe. Nachdem die Kläger ihren Widerspruch gegen den Übergang ihrer Beschäftigungsverhältnisse erst mehr als 8 Jahre nach Ende des Ablaufs der 1-monatigen Widerspruchsfrist erklärt hätten, seien diese verwirkt.
Das LAG bestätigt mit seinem Urteil die bisherige Rechtsprechung des BAG. Dabei lässt sich durchaus diskutieren, ob der Ansatz eines Zeitraums von mehr als 7 Jahren für die Verwirkung des Widerspruchsrechts zutreffend ist. Im Ergebnis dient es aber der Rechtssicherheit, einen regelmäßig zu berücksichtigenden Zeitraum einheitlich zu bestimmen. Ebenso ist zu begrüßen, dass die Kammer für den Beginn dieses Zeitraums den Ablauf der Widerspruchsfrist zugrunde legt. Damit sind der Praxis anwendbare Regeln an die Hand gegeben.
Markus Pillok, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln
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