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BAG: Schadensersatz wegen Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs

1. Ein übergangener Bewerber kann Schadensersatz wegen der Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung verlangen, wenn ein Arbeitgeber des öffentlichen Diensts eine zu besetzende Stelle zu Unrecht an einen Konkurrenten vergibt, die bei ordnungsgemäßer Auswahl ihm hätte übertragen werden müssen.

2. Nach der Wertung des § 839 Abs. 3 BGB soll allerdings grundsätzlich nur der Stellenbewerber Schadensersatz erhalten, der sich im Vorfeld der absehbaren Auswahlentscheidung des Arbeitgebers bemüht hat, den eingetretenen Schaden dadurch abzuwenden, dass er seine Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG durch die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes wahrt. Dies entspricht dem schadensersatzrechtlichen Grundsatz, dass der Primärrechtsschutz Vorrang vor dem Sekundärrechtsschutz hat.

3. Die in § 839 Abs. 3 BGB geregelte Obliegenheit greift nicht zu Lasten des Stellenbewerbers ein, wenn es der öffentliche Arbeitgeber unterlässt, den Stellenbewerber über die Behandlung seiner Bewerbung und für den Fall, dass er ihn in den Bewerberkreis einbezieht, über den Ausgang des Bewerbungsverfahrens in Kenntnis zu setzen.

4. Der Begriff der Zumutbarkeit i.S.d. § 839 Abs. 3 BGB ist ein Rechtsbegriff, bei dessen Feststellung den Tatsachengerichten ein Beurteilungsspielraum zusteht.

[Orientierungssätze]

BAG, Urt. v. 1.12.2020 – 9 AZR 192/20

I. Der Fall

Die Parteien stritten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger Schadensersatz wegen der Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs zu zahlen. Der Kläger war bis zum 8.3.2017 aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags in einer Zweigstelle der Bundesagentur für Arbeit als Arbeitsvermittler mit Beratungsaufgaben beschäftigt.

Anfang des Jahres 2017 schrieb die Beklagte intern für eine andere Zweigstelle eine Stelle als Arbeitsvermittler mit Beratungsaufgaben aus. Die Ausschreibung richtete sich allerdings ausschließlich an Arbeitnehmer mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag und Beamte. Zudem schrieb die Beklagte am 10.2.2017 – ebenfalls nur für unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer und Beamte – eine Stelle als Sachbearbeiter/-in bei einer weiteren Zweigstelle aus.

Der Kläger bewarb sich auf beide Stellenausschreibungen. Die Bewerbung auf die erste Stelle lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Kläger erfülle als befristet Beschäftigter die in der Ausschreibung genannten formalen Voraussetzungen nicht. Auch seine Bewerbung auf die zweite Stelle könnte nicht berücksichtigt werden, da sich die Ausschreibung ausschließlich an „Dauerkräfte“ richte. In der Folgezeit bewarb sich der Kläger erfolglos auf weitere von der Beklagte ausgeschriebene Stellen.

Zwar trat der Kläger im März 2018 eine neue Beschäftigung an. Sein Bruttomonatsgehalt lag jedoch ca. 900,– EUR brutto unter seinen letzten Bezügen bei der Beklagten. Daher verlangte der Kläger von der Beklagten zum einen den Ersatz der Entgeltdifferenz im Wege des Schadensersatzes. Zum anderen begehrte der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte auch für eventuelle zukünftige Schäden Ersatz zu leisten habe. Die Beklagte habe seinen Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt, indem sie seine Bewerbung bei der Stellenbesetzung nicht berücksichtigt habe. Der Ausschluss von befristet beschäftigten Arbeitnehmern habe gegen das Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 2 TzBfG verstoßen. In beiden Bewerbungsverfahren sei er schließlich der bestgeeignete Bewerber gewesen.

Eine Konkurrentenklage nach Art. 33 Abs. 2 GG strengte der Kläger jedoch nicht an. Er habe abwarten können, ob die Beklagte ihm eine andere Stelle anbieten werde, bevor er ein gerichtliches Verfahren anstrenge.

Die Beklagte hingegen vertrat die Auffassung, die Stellenausschreibungen seien ordnungsgemäß erfolgt. Als Inhaberin der Organisationsgewalt sei sie dazu befugt, die Ausschreibungen ausschließlich an unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer und Beamte zu richten. Dieser Entscheidung lägen wichtige personalpolitische Erwägungen zugrunde. Der Kläger habe als befristet beschäftigter Arbeitnehmer daher zulässigerweise abgelehnt werden dürfen.

Sowohl das ArbG Mainz (Urt. v. 1.8.2018 – 1 Ca 441/18) als auch das LAG Rheinland-Pfalz (Urt. v. 1.8.2019 – 5 Sa 420/18) haben die Klage als unbegründet abgewiesen. Das BAG bestätigte die Instanzgerichte und wies die Klage ebenfalls als unbegründet ab.

II. Die Entscheidung

Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestünden nicht. Die vom Kläger begehrte Feststellung, dass die Beklagte auch zum Ersatz zukünftiger Schäden einzustehen habe, sei aus Sicht des BAG hinreichend bestimmt. Auch das Feststellungsinteresse sei nach § 256 Abs. 1 ZPO gegeben, da die Schadensfolgen in der Zukunft wahrscheinlich seien, auch wenn die Art, der Umfang und sogar der Eintritt des Schadens noch ungewiss wären.

Allerdings seien beide Klageanträge unbegründet. Der Kläger sei seiner Obliegenheit, Primärrechtsschutz in Form einer Konkurrentenklage in Anspruch zu nehmen, nicht nachgekommen. Aus diesem Grund scheide ein Schadensersatzanspruch – auch für eventuelle zukünftige Schäden – aus.

Zwar könne ein übergangener Bewerber – so das BAG – grundsätzlich Schadensersatz von einem öffentlichen Arbeitgeber verlangen, wenn dieser sich bei der Auswahlentscheidung nicht an die Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG halte. Allerdings sei die Schadensersatzpflicht nach § 839 Abs. 3 BGB eingeschränkt. Unterlasse es der Bewerber vorsätzlich oder fahrlässig den Schaden, z.B. durch Inanspruchnahme eines Rechtsmittels, abzuwenden, greife die in § 839 Abs. 1 BGB normierte Ersatzpflicht nicht ein. § 839 Abs. 3 BGB – so das BAG – stelle eine besondere Ausprägung des Mitverschuldensprinzips aus § 254 BGB dar.

Der zu Unrecht nicht berücksichtigte Bewerber könne nach Ansicht des BAG daher nur Schadensersatz für die Verletzung eines Rechts aus Art. 33 Abs. 2 GG verlangen, wenn er sich bemüht habe, den Schaden dadurch abzuwenden, dass er im Vorfeld zu der absehbaren Auswahlentscheidung rechtliche Schritte einleite. Ein Wahlrecht zwischen Primärrechtsschutz und Schadensersatzbegehren bestünde daher gerade nicht. Vorliegend sei es dem Kläger insbesondere zuzumuten gewesen, einstweiligen gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen.

Ausnahmsweise greife § 839 Abs. 3 BGB allerdings nicht ein, wenn der öffentliche Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt habe, Primärrechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Der öffentliche Arbeitgeber müsse den erfolglosen Bewerber grundsätzlich in die Lage versetzen, darüber zu entscheiden, ob er die Auswahlentscheidung hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Grundsatz der Bestenauslese bestehen. Diese Anforderungen habe die Beklagte vorliegend erfüllt durch ihre Mitteilungen an den Kläger erfüllt.

Das LAG Rheinland-Pfalz habe auch nicht den Beurteilungsspielraum überschritten. Es habe bereits ausreichend berücksichtigt, dass der Kläger sich zum Zeitpunkt der Absagen auf weitere Stellen beworben hatte. Insbesondere greife das in § 612a BGB normierte Maßregelungsverbot nicht ein, da keine besonderen Umstände vorlägen, die auf einen Verstoß schließen lassen würden. Schließlich – so der 9. Senat – könne § 839 Abs. 3 BGB, der den Schutz der öffentlichen Verwaltung bezwecke, nicht dadurch ausgehebelt werden, dass der Bewerber weitere Bewerbungen einreiche.

III. Der Praxistipp

Das BAG bestätigt mit seinem Urteil seine Entscheidung vom 28.1.2020 (vgl. Urt. v. 28.1.2020 – 9 AZR 91/19) und schließt sich erneut der Rechtsprechung des BVerwG an (vgl. Urt. v. 30.8.2018 – 2 C 10/17; Urt. v. 20.10.2016 – 2 C 30/15). Zwar kann einem zu Unrecht übergangenen Stellenbewerber grundsätzlich auch Schadensersatz wegen der Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung zustehen. Allerdings gelten hierbei die Grenzen der aus § 839 Abs. 3 BGB folgenden Schadensminderungspflicht.

Der Entscheidung ist insbesondere darin zuzustimmen, dass dem Sekundärrechtsschutz nicht dadurch Vorrang gegeben werden kann, dass der Bewerber weitere Bewerbungen beim öffentlichen Arbeitgeber einreicht. Gerade nur bei rechtmäßigen hoheitlichen Eingriffen kann der Grundsatz „dulde und liquidiere“ gelten. Bei rechtswidrigem Handeln des Staates durch Verletzung des Art. 33 GG muss allerdings der Primärrechtsschutz, also die Beseitigung des rechtswidrigen Eingriffs durch Erhebung einer Konkurrentenklage, vorrangig sein. Vor der Erhebung einer Schadensersatzklage ist daher stets und vor allem rechtzeitig zu prüfen, ob nicht vorrangig ein Konkurrentenrechtsstreit anzustrengen ist.

Adrian Mrochen, Rechtsanwalt, Köln

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