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BAG: Haftung für Betriebsrenten bei Betriebsübergang aus der Insolvenz

1. Die besonderen Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts gehen § 613a BGB als Spezialregelungen für bereits entstandene Ansprüche oder Anwartschaften vor, so dass der Erwerber nicht für eine aufgrund des Endgehaltsbezugs einer Versorgungsordnung bei Insolvenzeröffnung bereits vom Arbeitnehmer erdiente Dynamik einstehen muss. Insoweit scheidet auch eine Eintrittspflicht des Pensions-Sicherungs-Vereins (PSV) aus. Die wertmäßige Differenz kann der Arbeitnehmer als aufschiebend bedingte Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anmelden.

2. Arbeitnehmern muss als Mindestschutz ihrer Forderungen auf betriebliche Altersversorgung ein Anspruch nach Art. 3 Abs. 4 Buchst. b Richtlinie 2001/23/EG iVm. Art. 8 RL 2008/94/EG gewährt werden. Das begründet in Deutschland einen unmittelbar aus dem Unionsrecht folgenden Anspruch gegen den PSV.

[Amtliche Leitsätze]

BAG, Urt. v. 26.1.2021 – 3 AZR 139/17

I. Der Fall

Die Parteien streiten über die Höhe der dem Kläger von der Beklagten nach einem Betriebsübergang in der Insolvenz zu zahlenden betrieblichen Altersrente.

Der 1950 geborene Kläger war seit 1968 bei der T-GmbH beschäftigt. Gemäß der dort bestehenden Versorgungsordnung (PO 1979) erwarb er Anwartschaften auf eine endgehaltsbezogene betriebliche Altersrente. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der T-GmbH im März 2009 erwarb die Beklagte den Beschäftigungsbetrieb des Klägers im April 2009. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging dementsprechend im Wege des Betriebsübergangs auf die Beklagte über. Seit August 2015 erhält der Kläger von der Beklagten eine betriebliche Altersrente auf der Grundlage der PO 1979 in Höhe von 145,03 EUR und von dem Pensionssicherungsverein in Höhe von 861,99 EUR. Die Beklagte legt ihrer Berechnung der Höhe der Altersversorgung nur die bei ihr geleisteten Dienstjahre zugrunde. Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Zahlung der Differenz zum Gesamtrentenanspruch, der sich aus den nach der PO 1979 maximal 45 anrechenbaren Dienstjahren ergibt.

Das ArbG Solingen (Urt. v. 24.5.2016 – 2 Ca 1812/15 lev) wies die Klage ab. Das LAG Düsseldorf (Urt. v. 20.1.2017 – 6 Sa 582/16) hingegen gab der Klage weitgehend statt. Das BAG wies die Klage endgültig ab, nachdem es dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsersuchens unter anderem die Frage vorgelegt hatte, ob eine eingeschränkte Geltung der Vorschriften der Betriebsübergangsrichtlinie im Falle eines Betriebsübergangs während eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Veräußerers zulässig ist, obwohl das nationale Recht grundsätzlich die Anwendung der Unionsbestimmungen für die Rechte der Arbeitnehmer auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung bei einem Betriebsübergang anordnet (EuGH, Urt. v. 9.9.220 – C-674/18 u. C-675/18).

II. Die Entscheidung

Seine bereits unter Geltung der Konkursordnung geprägte (BAG, Urt. v. 17.1.1980, 3 AZR 160/79) und auch für die Insolvenzordnung bestätigte (BAG, Urt. v. 30.10.2008, 8 AZR 54/07; BAG, Urt. v. 20.6.2002, 8 AZR 459/01) Rechtsprechung zur eingeschränkten Geltung des § 613a BGB bei einer Betriebsveräußerung in der Insolvenz fasst das BAG zu Beginn der Entscheidungsgründe zusammen und stellt fest, dass der Betriebserwerber nur für den Teil der betrieblichen Altersversorgung hafte, der in der Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdient wurde.

Die Haftungsbegrenzung des Erwerbers gilt nach der Entscheidung des BAG auch für die Dynamik einer endgehaltsbezogenen Versorgungszusage, bei der der Zuwachs der Anwartschaft dienstzeitunabhängig aus dem variablen Berechnungsfaktor Endgehalt resultiert. Die wertmäßige Differenz sei wegen § 7 Abs. 2 S. 6 BetrAVG auch bei der Berechnung der Höhe der vom Pensionssicherungsverein (PSV) zu tragenden Versorgungszusage nicht zu berücksichtigen. Allerdings, so das BAG, könne die wertmäßige Differenz zwischen einer bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erdienten und der vom PSV abgesicherten Anwartschaft als aufschiebend bedingte Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle angemeldet werden.

Das BAG hegte jedoch Zweifel, ob die einschränkende Auslegung von § 613a BGB mit den Mindestschutzbedingungen der Betriebsübergangsrichtlinie, Art. 3 Abs. 1, 3 u. 4 RL 2001/23/EG vereinbar sei und legte dem EuGH daher unter anderem diese Frage vor (BAG, Bschl. v. 16.10.2018 – 3 AZR 139/17). Der EuGH antwortete dem BAG mit Urt. v. 9.9.2020 (C-674/18, C-675-18) und bejahte die Vereinbarkeit der begrenzten Haftung des Erwerbers für Betriebsrenten mit den europarechtlichen Vorgaben des Arbeitnehmerschutzes bei Betriebsübergang. Nach der vom EuGH bestätigten Rechtsprechung des BAG zur Haftungsbegrenzung für Erwerber insolventer Betriebe oder Betriebsteile wies das BAG die Klage daher endgültig ab.

III. Der Praxistipp

Die Entscheidung war mit Spannung erwartet worden. Hätte das BAG der Klage letztinstanzlich stattgegeben und damit dem Arbeitnehmerschutz nach § 613a BGB den Vorzug vor dem ehernen Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung im Insolvenzrecht gegeben, hätte dies fatale Folgen für die übertragende Sanierung im eröffneten Insolvenzverfahren gehabt. Die nach dem Vorabentscheidungsersuchen des BAG befürchtete Erschwerung von übertragenden Sanierungen ist damit nicht eingetreten.

Arbeitnehmer mit einer endgehaltbezogenen Versorgungszusage, deren Arbeitsverhältnis im Wege des Betriebsübergangs beim Kauf aus der Insolvenz übertragen wird, verlieren nach dem Urteil des BAG die wertmäßige Differenz zwischen einer bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erdienten und der vom PSV abgesicherten Anwartschaft. Ihnen bleibt lediglich die Möglichkeit der Schadensbegrenzung durch die Anmeldung einer aufschiebend bedingten Insolvenzforderung zur Tabelle. Auf die Notwendigkeit der Anmeldung der Differenz zur Insolvenztabelle sollten insbesondere Arbeitnehmervertreter achten.

Peter Hützen, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Düsseldorf

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