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BAG: Fristwahrende Erhebung der Kündigungsschutzklage – Wirksamkeitsfiktion

Hat der Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage im Wege der Anschlussberufung in ein zweitinstanzliches Verfahren eingeführt, kann er, nachdem die Anschließung infolge einer Berufungsrücknahme durch den Arbeitgeber ihre Wirkung verloren hat (§ 524 Abs. 4 ZPO), mit einer die nämliche Kündigung betreffenden weiteren Kündigungsschutzklage zum ArbG in analoger Anwendung der in § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG bestimmten Frist – nur – durchdringen, wenn er die neue Klage innerhalb von zwei Wochen ab Kenntnis vom Wirkungsverlust anhängig macht.

[Amtliche Leitsätze]

BAG, Urteil v. 10.12.2020 – 2 AZR 308/20

I. Der Fall

Die Parteien stritten zunächst über die Wirksamkeit einer von der Arbeitgeberin am 2.8.2016 ausgesprochenen fristgerechten Kündigung. Der klagende Arbeitnehmer erhob gegen diese Kündigung Kündigungsschutzklage, der in erster Instanz entsprochen wurde. Gegen diese Entscheidung des Arbeitsgerichtes legte die Arbeitgeberin Berufung ein.

Mit Schreiben vom 31.5.2017 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis darüber hinaus fristlos und hilfsweise fristgerecht zum 30.9.2017. Der Arbeitnehmer nahm dies zum Anlass mit Schriftsatz vom 12.6.2017 die Zurückweisung der Berufung zu beantragen und gleichzeitig zu erklären, die Kündigungen vom 31.5.2017 würden in das „Verfahren eingeführt, sodass sie vom Streitgegenstand umfasst“ seien. Mit Schriftsatz vom 28.8.2017 formulierte der Kläger Feststellungsanträge, mit denen er die Feststellung der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung und hilfsweise der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung beantragte. Mit Schriftsatz vom 12.9.2017 nahm die Beklagte die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes zurück. Hiervon wurde der Kläger am nächsten Tag unterrichtet.

Am 15.9.2017 reichte der Kläger die nunmehr gegenständliche Kündigungsschutzklage ein und beantragte die Unwirksamkeit der ausgesprochenen fristlosen sowie hilfsweise der fristgerechten Kündigung festzustellen.

Das Arbeitsgericht Hamburg (Teilurteil v. 30.8.2018 – 12 Ca 241/17) sowie ihm folgend das Landesarbeitsgericht (Urt. v. 4.7.2019 – 8 Sa 57/18) wiesen die Kündigungsschutzklage ab. Sie stellten fest, dass die ausgesprochene Kündigung jedenfalls gemäß § 7 KSchG als wirksam gelten würde. Die gegen diese Entscheidung eingelegte Revision war erfolgreich. Das Bundesarbeitsgericht hob die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts auf und verwies den Rechtsstreit zur weiteren Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurück.

II. Die Entscheidung

Anders als die Vorinstanzen hält das Bundesarbeitsgericht fest, dass der Kläger durch die Einführung der im Verlauf des ersten Berufungsverfahrens ausgesprochenen Kündigungen in das damals anhängige Berufungsverfahren die Klagefrist § 4 S. 1 KSchG gewahrt habe. Die Formulierung des Klägers, die weitere Kündigung werde in das Berufungsverfahren eingeführt, „sodass diese vom Streitgegenstand umfasst“ sei, mache bei der notwendigen Auslegung deutlich, dass der Kläger sich auch gegen diese Kündigung habe wenden wollen. Das Begehren des Klägers sei deshalb als Anschlussberufung, die fristgerecht eingereicht wurde, zu werten. Soweit der Kläger später die Feststellungsanträge ausdrücklich formuliert habe, stelle dies lediglich eine Bestätigung des Vorhergehenden dar.

Die spätere Rücknahme der Berufung ändere an der wirksamen gerichtlichen Geltendmachung der Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigungen nichts. Zwar entfalle durch die Rücknahme der Berufung die Anschließung des Klägers gemäß § 524 Abs. 4 ZPO. Anders als bei einer Klagerücknahme führe dies jedoch nicht dazu, dass die einmal gestellten Anträge als nie anhängig geworden anzusehen wären.

Da aufgrund der Rücknahme der Berufung eine Entscheidung über die Anträge des Klägers in der Anschlussberufung nicht mehr möglich sei, bedürfe es allerdings der neuerlichen Klageerhebung. Für diese sehe das Gesetz eine Frist nicht vor. Dabei handele es sich um eine planwidrige Lücke des Gesetzes, da die Fristenregelung des Kündigungsschutzgesetzes generell bezwecken, den Arbeitgeber frühzeitig darüber zu informieren, ob eine von ihm ausgesprochene Kündigung wirksam sei. In analoger Anwendung von § 5 Abs. 3 S. 1 KSchG sei für die Erhebung der Klage eine Frist von 2 Wochen zu beachten. Die gegenüber § 4 KSchG kürzere Frist berücksichtige, dass der Arbeitnehmer sich bereits grundsätzlich mit der Frage, ob er sich gegen eine ausgesprochene Kündigung wenden wolle, entschieden habe. Es bedürfe deshalb keiner längeren Prüfungs- und Überlegungsfrist.

III. Der Praxistipp

Mit seiner Entscheidung hält das Bundesarbeitsgericht an seiner bisherigen Rechtsprechung zu den Reaktionsmöglichkeiten eines Arbeitnehmers auf während eines Kündigungsschutzprozesses ausgesprochener weiterer Kündigungen fest. Für die Wahrung der Klagefrist gemäß § 4 KSchG ist es ausreichend im Berufungsverfahren vor dem LAG die weiteren Kündigungen zum Streitgegenstand zu machen. Begrüßenswert ist, dass das BAG an seiner Rechtsprechung festhält, dass durch die Rücknahme der Berufung die Wirkung der Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Kündigung nicht fortfällt. Auch die bislang noch nicht erfolgte Konkretisierung, in welcher Frist der Arbeitnehmer in diesem Fall eine weitere Klage zu erheben hat, verdient Zustimmung. Diese individuell nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu bestimmen, führt zu einer Rechtsunsicherheit, die durch die jetzige Analogie, die das Bundesarbeitsgericht bildet, vermieden wird.

Markus Pillok, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

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